Corona – und wie weiter?

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Corona – war das was? Es waren keine Meisterleistungen, die Politik, Justiz, Wissenschaft und Medien während der Corona-Zeit vollbracht haben. Bleibt nur, wenigstens daraus zu lernen. Wir haben uns die ersten Versuche in dieser Richtung angeschaut.

Die Corona-Pandemie ist vorbei und das Virus endemisch geworden. Es wird uns weiterhin begleiten, aber dank der mittlerweile erreichten Immunität in der Bevölkerung werden die Erkrankungen begrenzt bleiben. Nachdem die Bedrohungslage sich insofern entspannt hat, zeigen sich manche Folgen der Pandemie deutlicher: die der Vereinsamung durch die Lockdowns, die Zunahme von Depressionen unter Kindern und Jugendlichen (die zeitweise und, wie man heute weiß, fälschlicherweise zu den Hauptverantwortlichen der Virus-Verbreitung gemacht wurden), das bleibende Home-Office (mit dem viele Unternehmen kämpfen, weil ihre Mitarbeitenden nicht wieder ins Büro kommen wollen), oder die weitreichende Verlagerung von Bildungsveranstaltungen ins Internet. Auch der rauher werdende Ton in sozialen Medien und im Umgang mit Andersdenkenden – von beiden Seiten – soll nicht unerwähnt bleiben. Polarisierungen und Spaltung in der Gesellschaft kündigen sich an, aber die Aufarbeitung kommt nur schleppend in Gang. Zu viele Menschen und Institutionen sind involviert, als dass ein Einräumen von Fehlern eine ernsthafte Möglichkeit wäre.

Mitte September fand in der von der ehemaligen Familienministerin Kristina Schröder initiierten Denkfabrik R21 ein ganzer Tag zur Aufarbeitung statt – in diesem Ausmaß eine Premiere. Beteiligt waren durchweg moderate Maßnahmenkritiker wie Julian Nida-Rümelin, Klaus Stöhr, Juli Zeh oder Heribert Prantl. Dadurch konnte ein recht eindeutiges Bild entstehen, auf das es allerdings in den Medien keinerlei Resonanz gab. Aber alle Beiträge stehen auf Youtube.

Auf vier Feldern untersuchte man die Pandemie: Politik, Recht, Wissenschaft und Medien – und, so das doch sehr eindeutige Fazit: alle vier Felder haben versagt. Dabei wurden die ersten Monate der Pandemie ausgenommen, denn sie standen unter völliger Unsicherheit und ein weitblickendes Handeln war in diesen Panikmonaten zugestandenermaßen nicht möglich.

Beschränkte Grundrechte

Aber als man dann doch schon mehr wusste, hat die Politik durchregiert, demokratische Verfahren ignoriert und mit ihren Maßnahmen auch unnötige Grundrechtseinschränkungen vorgenommen, etwa durch Ausgangssperren. Die Justiz, am deutlichsten im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Bundesnotbremse vom 30.11.2021, hat auf die gebotene Grundrechtsabwägung ganz verzichtet, Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Verfassungsgerichts, sprach geradezu von einer Rechtsschutz-Verweigerung. Die großen Medien, so die stets kritische Susanne Gaschke (derzeit NZZ, früher bei Zeit und Welt), seien mitgeschwommen. Intern sei zwar viel diskutiert worden, aber durchgesetzt hat sich letztlich fast überall ein die Regierung stützender und andere Sichtweisen unterdrückende Kurs – Kritik an Politik und Justiz wurde ins Abseits geschrieben. Und die Wissenschaft, die es als solche ja gar nicht gibt, hat auf ihre eigentlich selbstverständliche Haltung der forschenden Offenheit weitgehend verzichtet, Fachleute und auch ganze Fachrichtungen in der Kommunikation außen vor gelassen und der Politik ein einseitiges Bild der Kenntnisse über das Virus vorgespiegelt. Julian Nida-Rümelin berichtete von einer Beratungssitzung für die Politik, in der er schon früh auf die altersmäßig völlig unterschiedliche Verteilung der Vulnerabilität hinwies – was durchgreifende Folgen für die Maßnahmen hätte haben können. Doch eine solche Differenzierung war von der Politik nicht gewollt, es hätte die Durchsetzung der beabsichtigten strikten Strategie behindert.

Ökonomische Folgen

Nicht besprochen wurden in der Denkfabrik die Verwerfungen in der Wirtschaft. Wie die Wirtschaftshilfen eigentlich gewirkt haben, ist völlig offen, deutlich aber, dass manche Unternehmen und Branchen – Biontech und Pfizer, aber auch Online-Plattformen wie Amazon – gewaltige Gewinne gemacht haben, auf Kosten anderer Branchen wie der Gastronomie oder dem Einzelhandel. Insgesamt gibt es zu den Wirkungen der Maßnahmen so gut wie keine Forschung, obwohl es durchaus Real-Experimente und bereitstehende Kohorten für die Untersuchung gab. Man hat den Eindruck, rationale Diskurse sollten geradezu vermieden werden.

Die Verantwortlichen haben damals den Ausgang aus einem von Panik bestimmten Handeln nicht gefunden und finden ihn auch heute nur schwer. Auch als man längst wusste, wie die Virus-Übertragung altersmäßig verteilt ist, wurden Maßnahmen „für alle“ beschlossen, auch als man die Übertragungswege und -umstände längst kannte, gab es Ausgangssperren und Maskenpflichten selbst an der frischen Luft, und auch als man längst wusste, dass die Impfungen zwar einen milderen Verlauf, aber keine Minderung der Übertragung bieten – also lediglich dem Selbstschutz dienen – (und andere Länder längst davon Abstand genommen hatten), wäre in Deutschland beinahe eine allgemeine Impfpflicht beschlossen worden. Das mutet im Nachhinein beinahe unheimlich an. Besonnenheit hat sich während der Pandemie verabschiedet, Angst wurde aufrechterhalten. Sicherlich gab es auch autoritäre Versuchungen ebenso wie Ohnmachtserlebnisse und Hilflosigkeit. Dazu kam ein häufig unsachlicher, enorm verengter und moralisierender Diskurs, bei dem die Guten ins Töpfchen und die Schlechten ins Kröpfchen einsortiert wurden. Heute steht Deutschland bei der Übersterblichkeit im Mittelfeld und bei den Ausgaben für die Pandemie ganz an der Spitze.

In der Denkfabrik R21 war man sich einig, dass es wenig Sinn macht, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen – das würde nichts ändern. Aber man müsse daraus lernen. Hier wurde vor allem formuliert, dass unrealistische Ziele wie die zeitweise ins Auge gefasste „Ausrottung des Virus“ zu einer Eskalation der Maßnahmen führten. Das könne sich in der Klimapolitik nunmehr wiederholen. Hingewiesen wurde auch darauf, dass diese Art der Zielformulierung jeglicher positiven Vision entbehrt.

Drei Aufgaben

Deutlich wurde während der Pandemie, wie brüchig unsere Gesellschaft und die Werte, auf der sie ruht, doch geworden sind. Vor allem Freiheit und Eigenverantwortung haben zugunsten von Schutz und Sicherheit gelitten. Gerald Häfner vom Goetheanum hat die Pandemie in einer Fortbildungsveranstaltung der Gesellschaft anthroposophischer Ärzte in einen ganzen Stapel von Krisen – Klima, Finanzmärkte, Einkommensverteilung – eingeordnet, die alle auf eine Krise des Verhältnisses zwischen Mensch und Welt hinweisen: die heutige Bewusstseinsverfassung sieht die „Welt“ generell als etwas zu beherrschendes, sie geht von sich aus auf die Welt zu und „behandelt“ sie. Der Blick aufs Ganze geht dabei verloren. Nötig sei heute vielmehr ein Denken aus dem Umkreis heraus, das per se auch prozessualer ausgerichtet sein wird. Dazu gehören dann gesellschaftliche und politische Formen, in denen nicht Politiker eine Bevölkerung top down behandeln, sondern in denen individuelles Handeln bottom up zwischen Betroffenen verhandelt und ausgeübt wird. Dazu gehören inklusive Diskursformen und Gelegenheiten, sie zu üben. Und dazu gehört letztlich ein politisches System, in dem Bürgerbeteiligung und subsidiäres Handeln zu Selbstverständlichkeiten werden.

Eine zweite Lernaufgabe ist unser Verhältnis zu Krankheit und Tod. Boris Palmer erinnerte in der Veranstaltung der Denkfabrik an seine Aussage: „Wir retten möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären.“ Eine solche Aussage ist in Deutschland schon wegen des Euthanasie-Verdachts tabuisiert. Und doch bedarf eine solche Pandemie des Sprechens über Tod und Krankheit. Wolfgang Schäuble hat einmal gesagt, nicht das Leben sei der höchste Wert des Grundgesetzes, sondern die Würde. Und Krankheit – die vielen jetzt nachgeholten Infektionen zeigen es – gehört zum Leben dazu, sie ist unvermeidlich und zumeist eine Entwicklungsaufgabe. Dafür Verständnis zu wecken sollte in einer nächsten Pandemie besser gelingen als diesmal.

Und die dritte Aufgabe liegt wohl in der individuellen Urteilsbildung. Sofort zu allem eine Meinung zu haben, dazu fordern die sozialen Medien auf und im Gespräch wirkt man immer ein bisschen dumm, wenn man zu einem brennenden Thema keine eindeutige Position hat. Doch ist die Frage, wie wichtig ein abschließendes Urteil ist, doch je nach Lebenssituation sehr unterschiedlich zu beantworten. Letztlich haben wir es hier mit dem Bundestrainer-Syndrom zu tun: Alle wissen es besser, aber niemand außer dem Bundestrainer ist in der Lage, tatsächlich zu handeln. Steiner meinte einmal, 95 Prozent unserer Urteile im Alltag seien überflüssig: weil sie eben aus einer Lebenslage getroffen werden, die ein Umsetzen des Urteils gar nicht ermöglicht. Stattdessen wäre eine Haltung des wohlwollend-begleitenden und auf Verständnis ausgerichteten Beobachtens im Zeitgeschehen wohl sehr viel förderlicher. Es würde die Handelnden vielleicht mit guten Ideen inspirieren und den Lauf der Geschehnisse womöglich ins Konstruktive wenden.

Denkfabrik R21: Deutschland zwischen Covid und Klima. Grundrechte unter Vorbehalt?

Dieser Text erschien in der Ausgabe 11/2023 der Zeitschrift info3.
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Über den Autor / die Autorin

Anna-Katharina Dehmelt

Anna-Katharina Dehmelt, Jahrgang 1959, studierte Musik, Wirtschaftswissenschaft und Anthroposophie. Sie hat intensiv auf dem Feld der anthroposophischen Meditation gearbeitet, geforscht, vernetzt und anthroposophisches Meditieren bekannt gemacht, zuletzt auch mit dem von ihr begründeten Institut für anthroposophische Meditation. Zudem ist sie Dozentin an verschiedenen anthroposophischen Ausbildungsstätten.
Seit Mai 2021 ist sie Redakteurin bei info3.