Waldorfpädagogik im akademischen Dialog

Prof. Dr. Jost Schieren, Alanus Hochschule. Foto: info3

Waldorfpädagogik erfreut sich nicht nur bei Eltern immer größerer Beliebtheit, sie findet auch zunehmend Interesse in den Bildungswissenschaften. Das Graduiertenkolleg Waldorfpädagogik will dieses Interesse unterstützen und durch wissenschaftliche Nachwuchsförderung Waldorfpädagogik noch mehr ins Gespräch bringen. Ein Gespräch mit dem Kollegleiter Jost Schieren von der Alanus Hochschule.

Graduiertenkolleg Waldorfpädagogik – das klingt erst einmal recht akademisch. Welche Motive stehen dahinter und warum ist das Ihrer Ansicht nach sinnvoll für die Waldorfpädagogik?

Im Rahmen des Graduiertenkollegs werden in erster Linie Promotionsvorhaben zum Thema Waldorfpädagogik gefördert und betreut. Verbunden damit ist gleichzeitig eine Nachwuchsförderung für junge Wissenschaftler.

Warum gibt es einen Bedarf an Forschungsvorhaben zum Thema Waldorfpädagogik?

Weil es dazu bisher relativ wenig gibt. Das hängt damit zusammen, dass die akademische Verortung der Waldorfpädagogik erst spät begonnen hat. Sie ist ja eine erfolgreiche, weltweite Praxisbewegung. Aber so sehr diese Praxis der Waldorfschulen anerkannt wird, so sehr wird die Theorie gerade aus erziehungswissenschaftlicher Sicht auch kritisiert, wenn sie denn überhaupt wahrgenommen wird.

Die Waldorfpädagogik ist also in den Erziehungswissenschaften noch gar nicht richtig präsent?

Genau, es gibt zwar ein gewisses Hin- und Her an Kritik und Verteidigung, aber noch zu wenig Forschung, die die Waldorfpädagogik unabhängig von Weltanschauungsfragen erziehungswissenschaftlich untersucht und dabei insbesondere die pädagogische Praxis aufarbeitet. Und genau diese Forschung fördert unser Projekt.

Um welche Fragen geht es denn bei den Forschungsvorhaben konkret?

Im Bereich der Kindheitspädagogik haben wir beispielsweise eine begleitende Studie über die Eingewöhnungszeit im Waldorfkindergarten: Wie schafft es eigentlich die Waldorfpädagogik mit ihren Methoden in der ganz frühen Kindheit, die Lösung von den Eltern und die Eingewöhnung in der neuen Umgebung kindgerecht zu gestalten? – Ein anderes Forschungsprojekt vergleicht die Qualitätsansprüche, die heute für Kindertagesstätten gelten, mit den Qualitätsansprüchen an Waldorfkindergärten. Ein anderes Forschungsprojekt untersucht eine Waldorf-Flüchtlingsklasse, wo es insbesondere um unbegleitete geflüchtete Jugendliche aus Syrien geht. Da zeigt sich beispielsweise, wie gerade die praktischen Elemente der Waldorfpädagogik eine Integration erleichtern, weil etwa im Handwerklichen die Sprachbarrieren gut überwunden werden.

Findet diese Forschung dann nur an der Alanus Hochschule statt?

Nein, das ist ganz gemischt. Im Kollegium dieses Projekts sind Professorinnen und Professoren der verschiedensten Hochschulen in Deutschland vertreten, manche mit Waldorf-Hintergrund, manche auch nicht, sie sind aber offen dafür. Insofern liegt eine Besonderheit dieses Kollegs auch darin, dass es von Grund auf dialogisch angelegt ist und sowohl Innen- wie Außensichten vertreten sind. Erfreulicherweise konnten dafür eine ganze Reihe von hochrangigen Erziehungswissenschaftler*innen gewonnen werden. Und auf diese Weise wird das Thema Waldorfpädagogik auch an verschiedenste Universitäten transportiert: Rostock, Passau, Oldenburg, Bochum, Marburg und Leipzig zum Beispiel.

Schon die Zusammensetzung der Lehrenden ist also eine Besonderheit?

Ja, hier ist ein Ort entstanden, wo sachorientiert über Waldorfpädagogik geforscht werden kann und ein Tunnelblick vermieden wird, was der Qualitätsbildung eben auch der Waldorfpädagogik zugutekommt. Die Dissertationen, die auf diesem Wege entstehen, stellen eine Art Währung dar, mit der die Waldorfpädagogik innerhalb der akademischen Welt gehandelt wird.

Wird Waldorfpädagogik auf diese Weise ein stückweit auch ein „normaler“ Forschungsgegenstand?

Das wäre auf jeden Fall ein Ziel. Das Thema Waldorf ist ja bisher stark von Weltanschauungsfragen und diesbezüglicher Kritik überlagert: Wie esoterisch ist die Waldorfpädagogik, welche Rolle spielt die Anthroposophie – ständig betont man so von Kritikerseite eine Überbauschicht, die aber in der praktischen Waldorfpädagogik gar nicht das Entscheidende darstellt. Im Kontext der konkreten Forschung rückt sich das zurecht. ///

Ein Text aus der Ausgabe 1/2021 der Zeitschrift info3. Kostenlose Probenummer hier.

Das Graduiertenkolleg Waldorfpädagogik gibt es seit 2015 an der Alanus Hochschule in Alfter bei Bonn. Es dient der Forschung und der Wissenschafts- und akademischen Nachwuchsförderung im Bereich der Waldorfpädagogik. Es vergibt Promotionsstipendien an Doktorand*innen in Höhe von derzeit maximal 1.500 Euro monatlich für drei Jahre. Gefördert wird das Projekt von der Forschungsstelle des Bundes der Freien Waldorfschulen und der Software-AG Stiftung. Mehr Informationen gibt es hier.

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