ChatWithSteiner

Foto: Shantanu Kumar / Unsplash

An einer Waldorfschule wurde ein Chatbot entwickelt, der Antworten im Rudolf Steiner-Stil generieren soll. Ist das lustig?

„Wo ist Gott?“ tippen wir langsam und sehr gespannt in das Suchfeld. Über dem Suchfeld wurden wir begrüßt mit dem Satz „Meine verehrten Freunde, ich erhebe mich aus dem Reich der Vergangenheit, um Eure Fragen zu beantworten“. – So beginnt ein begeisterter Artikel in der Zeitschrift Erziehungskunst (7/23). Endlich! – werden manche Anthroposoph:innen seufzen, kann Rudolf Steiner im Nachtodlichen direkt befragt werden! Es handelt sich aber nur um das Projekt ChatWithSteiner. 16 Schüler und eine Schülerin von der siebten bis zur zwölften Klasse einer Waldorfschule erstellten den ChatBot während einer Projektwoche (siehe auch Kurz notiert). Sie outen sich als KI-Gläubige: „Bei ChatWithSteiner glauben wir an die unendlichen Möglichkeiten, die Künstliche Intelligenz in unserer Welt schaffen kann. Wir verstehen die Eskalation der KI-Technologie und wie sie sogar dazu genutzt werden kann, die Persönlichkeiten verstorbener Personen wiederzubeleben.“ Ich respektiere die Leistung der Schüler und will sie nicht persönlich angreifen. Aber das, was hier durch experimentieren mit KI geschieht, ist hochgradig verantwortungslos.

Meine grundsätzlichen Bedenken beziehen sich weniger auf Inhalte – die sind austauschbar – sondern auf die Methode der KI. Daran ändern nette Menschen und die frommen Wünsche, man werde ethisch damit umgehen und dadurch andere Menschen für Rudolf Steiner interessieren, nichts. Eine vom Individuum losgelöste „Intelligenz“, die Inhalte neu zusammenstellt oder gar produziert und damit Menschen beeinflusst, ohne das Urteilsvermögen eines Autors oder einer Autorin, ist ein fundamentales Problem. Mich wundert, dass das in der Erziehungskunst beinahe durchweg gelobt wird. Manche Lehrer:innen, sagen die Schüler, seien im Vorfeld skeptisch gewesen, fänden es jetzt aber toll und wollten es selbst ausprobieren.

„Unser Ziel ist es, eine KI-Welt zu schaffen, die den Menschen dient, ohne ihre Würde, Individualität und ethischen Normen zu verletzen.“ Das klingt gut, aber das Gegenteil ist leider wahr. Ein Bekannter von mir stellte dem ChatBot folgende Frage: „Welche Frage hat Steiner nicht beantwortet?“  Er antwortet: „Steiner … hat uns in seinen Werken unzählige Einsichten und Erkenntnisse geschenkt. Doch trotz seiner umfangreichen Lehren gibt es eine Frage, die er nicht endgültig beantwortet hat. Diese Frage betrifft die tiefsten Geheimnisse des Universums, die Abgründe der menschlichen Seele und die Mysterien des Lebens nach dem Tod. Steiner selbst wusste, dass es Grenzen gibt, die das menschliche Bewusstsein nicht überschreiten kann. Es gibt Bereiche des Wissens, die für uns unzugänglich bleiben werden.“ Das ist nun echt faszinierend. Nicht nur, weil es Unsinn ist, denn Steiner hat über die Grenzen des Erkennens genau das Gegenteil gesagt. Wie kommt die Software dazu, auf dem Hintergrund der Texte, mit der sie gefüttert wurde, diese Aussage zu treffen? Falls sie nicht auch mit Kritiker-Literatur versehen wurde – was ich nicht weiß – ließe das ja auf eine Art „Filter“ schließen, der die Aussagen, in diesem Fall Steiners, mit dem „common sense“ zu dieser Frage in unserer Zeit kurzschließt und dann eben mal kurz das Gegenteil ausspuckt. Ich habe die Initiatoren per Mail darauf hingewiesen und eine freundliche Antwort erhalten: 

„Auch unser Bot hat das Problem, dass er halluziniert. Gerade bei der Frage, ‚welche Frage hat Steiner nicht beantwortet‘, sind solche Effekte zu vermuten.“ Und auf meine Hauptfrage, wer für einen Inhalt verantwortlich ist, wenn es keinen Autor gibt: „Wir haben auch keine Antwort auf die aktuell breit diskutierte Frage nach der Verantwortung der KI.“ Na, dann lasst uns mal zügig nachdenken, ehe wir weiter mit dieser scharfen Waffe hantieren.

Dieser Text erschien in der Ausgabe September 2023 der Zeitschrift info3 mit dem Titel-Thema Künstliche oder Kosmische Intelligenz?

Über den Autor / die Autorin

Johannes Denger

Johannes Denger ist Heilpädagoge, Waldorflehrer und Info3-Autor.

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