Falsch abgebogen

Foto: Jonathan Farber/unsplash

Der anthroposophische Publizist und Waldorf-Dozent Martin Barkhoff hat zusammen mit Caroline Sommerfeld im AfD-nahen Verlag Antaios einen Briefwechsel veröffentlicht, der aus der Zeit gefallen wirkt. Vor allem geht es da um die „Auferstehung des deutschen Volkes“ und um das „neue Reich“ – alles im Namen der Anthroposophie. Eine Replik.

Caroline Sommerfeld, die wegen ihrer Verbindungen zur rechtslastigen Identitären Bewegung eine Waldorfschule in Wien verlassen musste, und Martín Barkhoff, Publizist und heute in Peking lebender Waldorf-Dozent, haben unter dem Dach des Verlags Antaios einen Briefwechsel veröffentlicht. Antaios? Da war doch was. Genau, dieser Verlag mit Sitz im thüringischen Schnellroda gilt als Sammelbecken für Autoren der sogenannten „Neuen Rechten“. Verlagschef ist Götz Kubitschek und sein Vertrauter Björn Höcke gestand einmal, aus Schnellroda schon oft „geistiges Manna“ empfangen zu haben; seit 2021 steht Kubitscheks ebenfalls in Schnellroda ansässiges Institut für Staatspolitik als rechtsextremer Verdachtsfall unter Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Ausgerechnet dort veröffentlicht Martin Barkhoff ein Buch – ist da jemand falsch abgebogen oder handelt es sich nur um einen publizistischen Ausrutscher?

Von wegen. Sommerfeld und Barkhoff haben sich in Schnellroda getroffen und handeln aus Überzeugung. Barkhoff lässt an seiner Bewunderung für Kubitschek keinen Zweifel, er attestiert ihm im Buch sogar „ein gelebtes, lebendiges Christentum“. Was die beiden schreiben, passt vollkommen ins Antaios-Programm: Volkstod und Volkauferstehung haben Barkhoff und Sommerfeld ihr Werk genannt – schon der Titel lässt einem 80 Jahre nach der NS-Katastrophe und angesichts der jüngeren AfD-Erfolge das Blut in den Adern gefrieren. Tod und Auferstehung, elementare Begriffe des Christentums, hier werden sie pseudo-religiös ins Völkische verdreht, was nicht nur religiös empfindende Menschen verstören muss.  Das christliche „Dein Reich komme“ aus dem Vaterunser wird von beiden Autoren wieder und wieder zur Aufladung ihrer ganz anderen Reichs-Phantasien missbraucht. Doch der Reihe nach.

Eigenwillige Geschichtssicht

Sommerfeld beginnt den Briefwechsel mit einer persönlichen Erinnerung: Eines Tages habe sie in Wien im Spital gelegen und geweint, weil ihr „deutlich vor Augen stand, dass das deutsche Volk dem Untergang geweiht ist.“ Dieser „Tod“ sei aber nicht das Ergebnis eines quasi natürlichen Sterbeprozesses, den es für Völker in der Geschichte immer gegeben habe, sondern „womöglich von langer Hand geplant“, ja ein „Mord“. Wenige Zeilen weiter sind wir mittendrin im Narrativ des „Großen Austauschs“ und der „Neuen Weltordnung“, die für diese „Volksermordung“ (Sommerfeld) durch Einwanderung zuständig sei. Es gehe aber dabei nicht nur „um uns Deutsche“, schreibt Sommerfeld, „wir“ müssten darüber hinaus auch „mit dem Tod der eigenen Rasse im Sinne des Sterbenlernens zurechtkommen“. (Dieses und alle folgenden Zitate aus dem besprochenen Buch.)

Barkhoff seinerseits unterlegt die Botschaft vom Volkstod mit einer revisionistischen Darstellung der deutschen Geschichte, wobei man unter anderem über den Begriff der „Vernichtung durch Arbeit“ stolpert, ein Prinzip, das bei Barkhoff aber offenbar nichts mit deutschen Vernichtungslagern zu tun hat, sondern Teil der „Lügenpropaganda der Entente“ war, die mit den Reparationsauflagen nach dem ersten Weltkrieg die Deutschen bewusst in den Untergang treiben wollte. Alles Böse, das die Deutschen getan haben, auch der Rassismus, war in Barkhoffs Sicht „aus Amerika importiert“. Von Amerika geht auch weiterhin die Infiltration der Welt mit Lügen aus: „Eine Lügenwelt wie die unsere hat es in der Geschichte vorher niemals auch nur annähernd gegeben“, weiß Barkhoff, ja noch mehr: „Wir leben geradezu in einem Mysterium der Lüge“. Wenn man die Übertreibungen abzieht, bleibt natürlich etwas Richtiges daran, das auch von anderer Seite vielfach als unsere Zeit prägende Propaganda oder als Neu-Sprech in vielen Bereichen charakterisiert wurde. Stutzig wird man jedoch, wenn bei Barkhoff das „deutsche Volk“ ins Spiel kommt, das in seiner angeblich typischen Wahrheitsliebe den weltbeherrschenden Mächten als quasi letztes Hindernis im Weg steht und deshalb beseitigt werden soll: „Der Volkstod der Deutschen steht im Zentrum der gegenwärtigen Weltgeschichte (…) Dort also, bei uns, wird der Kampf entschieden.“ Mehr Germanozentrik, mehr völkisches Weltendrama geht nicht. Auch Caroline Sommerfeld geizt nicht mit Dramatik: Kurz nach diesen Schilderungen beschwört sie einmal sogar die Notwendigkeit eines „heiligen Kriegs“. Ja, stimmt Barkhoff im nächsten Brief zu, denn es werde „der große Widersacher“ nicht nur in der eigenen Seele, sondern auch „als Geschichtsmacht“ auftreten, die bisher von der „Wesenheit des Deutschtums“ aufgehalten wurde.

Bei all dem wird nicht ein einziges Mal gefragt, was „Volk“ in einer globalisierten Welt mit multikulturellen und multiethnischen Gesellschaften überhaupt bedeutet oder wie die Begriffe Volk, Nation und Kultur zu differenzieren wären. Schon gar kein Gedanke wird auf die Probleme verwendet, die entstehen, wenn heute eine „Mission“ auf das Volkshafte bezogenen werden soll. Barkhoff und Sommerfeld reden von „Volk“, als lebten wir zu Beginn des letzten Jahrhunderts und sie sprechen von Volksgeistern, als handle es sich um Kollegen von nebenan. Die Kategorie von Volksgeistern erkenntnismäßig und zeitsensibel neu zu erfassen, es wäre vielleicht möglich – aber nicht für dieses Autorenduo, das so gar keinen Sinn für die hier wartenden, grundlegenden Fragen hat.

Ausgeprägter Erklärdrang

Es sollte der Fairness halber erwähnt werden, dass es beiden nicht um äußere Größe oder politische Macht geht, sondern um ein „Diaspora-Deutschtum“, das keinem Staat dient, sondern eben „dem wahren Reich“ – das „zu seiner Zeit“ dann aber doch „handfeste Wirklichkeit“ werden wird, wie Barkhoff prophezeit. Dafür müssten jetzt die Keime gelegt werden: „Wenige, Vereinzelte, die ein Willensdeutschtum, die die Verantwortung für ein Jahrtausend der Arbeit (sic!) auf sich nehmen, die halten den Strom aufrecht.“ Selbst seine Briefpartnerin beschleicht hier ein leiser Zweifel, wenn sie anschließend fragt: „Meintest Du wirklich uns zwei Menschenkinder?“

Barkhoff verfügt zweifellos über viel Wissen, er hat manches über die Bedeutung der Mönchsorden und des Rosenkreuzertums, über die Habsburger in Österreich und über Rem Kohlhaas in Peking zu sagen, aber immer wieder rutscht das alles ab in eine antiquierte Völkerpsychologie mit befremdlichen geo-esoterischen Theorien, die oft so verblüffend simpel ausfallen wie etwa hier: „In der Moderne haben wir zwei Hauptvölker: die englischsprechenden und die deutschsprechenden. Zwischen diesen beiden Völkergruppen hat sich die Spaltung der Menschheit abzuspielen, emblematisch gesprochen zwischen London/New York und Berlin/Moskau.“ (Kein Druckfehler: tatsächlich wird hier „Moskau“ ohne weiteres der „deutschsprechenden“ Seite zugeordnet.)  Und es gibt zahllose solcher typischen Barkhoff-Kuriosa: Einmal lobt er zum Beispiel die amerikanischen Amish-People als „Felsen der Unabhängigkeit“, von dem er sicher ist, „dass die göttliche Welt auch diesen Sonderweg gewollt und geschützt hat.“ Dann wieder weiß er über China: „Der chinesische Volksgeist hat Mao ausgewählt, um China zu erneuern, nicht Tschiang Kaischeck.“ Der Volksgeist hätte Mao irgendwo auf dem langen Marsch beseitigen können, wenn er gewollt hätte, so Barkhoff in seinem schier unerschöpflichen Erklärdrang. Selbst die Einsicht, dass sich in dem Kabarettisten Dieter Nuhr „deutsche Substanz realisiert“, ja, dass dieser „zu einem Träger des Volksgeistes geworden ist“, enthält er uns nicht vor.

Diese Aufzeichnungen sind bereits 2021 erschienen und man hatte gehofft, sie einfach mit Schweigen übergehen zu können. Seit kurzem aber sickern der unsägliche Buchtitel und die AfD-Nähe Barkhoffs in die Öffentlichkeit und drohen auf die Anthroposophie abzufärben. So lud die Anthroposophische Gesellschaft Hamburg Barkhoff im Sommer 2023 ins Rudolf Steiner-Haus zu einer Veranstaltung „nur für Mitglieder“ ein, in der auch der Buchtitel Volkstod und Volksauferstehung erwähnt wurde. Öffentlich wurde es natürlich irgendwann trotzdem. Und löst Fragen aus, sowohl bei Anthroposophen als auch bei solchen, die bisher mit ihnen sympathisieren: Warum wird diesem Thema von der Anthroposophischen Gesellschaft ein Forum geboten? Zeigen sich Anthroposophen, wenn sie unter sich sind, eben doch von einer reaktionären Seite? – Nein, denn Barkhoffs neurechte Wendung ist wohl eher eine persönliche Alters-Tragik, eine Ausnahme, die nur wenige Anhänger finden dürfte. In Zeiten, wo die Anthroposophie sich wieder vermehrt mit dem Vorwurf des Völkischen konfrontiert sieht, ist dennoch eine klare Distanzierung nötig.  ///

Martin Barkhoff und Caroline Sommerfeld: Volkstod und Volksauferstehung. Achtundzwanzig Briefe aus Wien und Peking. Verlag Antaios 2021, 102 Seiten, € 19.

Redaktioneller Hinweis: In der ursprünglichen Version dieses Artikels hatte es geheißen, im Steiner-Haus sei zu einem Vortrag “Volkstod und Volksauferstehung” eingeladen worden. Tatsächlich hat Barkhoff am 1.7. 2023 im  Steiner-Haus zu den Themen seines Buches gesprochen, die Veranstaltung wurde allerdings unter einem anderen Titel angekündigt. Wir haben den Text entsprechend angepasst. 

Dieser Text erschien in der Septemberausgabe 2023 der Zeitschrift info3.

Über den Autor / die Autorin

Jens Heisterkamp

Jens Heisterkamp, geboren 1958 in Duisburg, wuchs im Ruhrgebiet auf. Er studierte an der Ruhruniversität Bochum Geschichte, Literaturwissenschaft und Philosophie und wurde 1988 zum Dr. phil. promoviert. Nach der Begegnung mit der Anthroposophie lernte er während seines Zivildienstes die Heilpädagogik kennen und arbeitete als Dozent in der Erwachsenenbildung, kurzzeitig auch als Waldorflehrer, dann als Herausgeber und Autor. Seit 1995 ist er verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift info3 sowie Verleger und Gesellschafter im Info3 Verlag in Frankfurt am Main. Seine Themen sind Dialoge in Religion, Philosophie und Spiritualität, Offene Gesellschaft, Ethik.

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