Zwischen Regulation und Verzicht

Welche Auswege aus Klimakrise und Naturzerstörung sind möglich? Zwei Bücher über Wege zum guten Leben versuchen Antworten.

Lassen Sie sich den folgenden Text hier von Anna-Katharina Dehmelt vorlesen:

Bliebe es doch bei der Klimakrise! Aber das ist wohl eine Illusion. Die menschengemachten Veränderungen des Klimas gehen einher mit einem rasanten Artensterben und mit Pandemien, sie haben zu tun mit Gerechtigkeitsfragen, die von „fossil verstärkter Unterdrückung“ aufgeworfen werden und auf immer noch rassistischen oder kolonialistischen Formen oder auf einem überdrehten Kapitalismus basieren. All diese Problemlagen sind miteinander verbunden und bedingen sich gegenseitig – das führen einem beide hier anzuzeigende Bücher vor Augen. Die Menschheit hat sich in eine Situation manövriert, aus der es keine einfachen Auswege geben wird.

Ansonsten sind die beiden Bücher aber denkbar unterschiedlich. Das eine gibt Gespräche wieder, die die 1996 geborene Fridays for Future-Aktivistin Luisa Neubauer und der 35 Jahre ältere stellvertretende Chefredakteur der Zeit, Bernd Ulrich, miteinander geführt haben. Locker im Ton, ernst in der Sache, vertrauen beide letztlich auf die Kraft von Politik und die Regeln, die sie setzt. Das andere Buch hat ebenfalls zwei Autoren, Pierre Ibisch und Jörg Sommer, beide in den 1960iger Jahren geboren, Professor für Naturschutz der eine, Politikwissenschaftler und Soziologe der andere, miteinander verbunden durch ihr Engagement für die Deutsche Umweltstiftung. Ihr Buch bedient sich des strengen Tons eines Manifestes. Sie fordern Haltung und Prinzipien ein, die das Verhältnis zwischen Mensch und Natur grundlegend verwandeln wollen.

Verzicht ist zu wenig

Die Gespräche zwischen Luisa und Bernd (so werden sie im Buch durchgängig genannt), aus denen Noch haben wir die Wahl besteht, haben vor der letzten Bundestagswahl stattgefunden und beleuchten den Politik-Betrieb und die Haltungen der Parteien zur Klimakrise recht genau – damit sind sie auch nach der Wahl noch interessant. Bernd steuert Hintergründe und vergangene Entwicklungen bei, Luisa vertritt kompetent und pfiffig die entrüstete Attitüde vieler Klimaaktivisten ihrer Generation. „Ich fing an, mich zu empören, so richtig meine ich, so dass es in der Brust pocht“, erzählt sie am Ende des biographischen Einstiegskapitels. Diese Empörung bekommt auch Bernd ab, dem sie stellvertretend für seine ganze Generation vorwirft, in den letzten 30 Jahren viel zu wenig getan zu haben.

In der Analyse des Handelns der politischen Akteure und der Diskussion von Maßnahmen, die den Klimawandel stoppen sollen, sind sie sich hingegen oft einig. Am Ende des Buches zeigen sich dann aber nochmals zwei ganz unterschiedliche Sichtweisen. Bernd Ulrich plädiert letztlich doch für den individuellen Verzicht als treibende Kraft: „Beinahe jeder Verlust, jedes Weniger war ein Gewinn.“ Ihm geht es „darum, die materielle Seite von allem, was wir tun, zu reduzieren“, zugunsten von „Zeit von Menschen für Menschen: Pflege, Schule, Sozialarbeit, Kultur“. Luisa Neubauer hält die Betonung des individuellen Verzichts für Augenwischerei und plädiert für systemische Veränderungen. Es muss über Reduktion und Verbote geredet werden dürfen, aber in erster Linie im Blick auf den Ausbau von Mobilität, bei der Industrie und industrieller Landwirtschaft, bei Subventionen, Preisen und Ausbeutungsverhältnissen. Das alles ist gut argumentiert, kenntnisreich und anregend zu lesen.

Aufgetürmt bis in die Atmosphäre

In noch größerem Maße ist das beim Ökohumanistischen Manifest der Fall. Die Autoren halten alle politischen Maßnahmen, alle Verbote und allen Naturschutz für völlig unzureichend – so lange diese aus einem Denken resultieren, das die Probleme zwar verursacht hat, aber nicht lösen kann: Ein materialistisch-reduktionistisches Denken, das den Menschen auf eine egoistische Weise in den Mittelpunkt stellt. Neues Denken kann „sich einzig aus den Fragen ergeben, wer wir sind, warum wir sind, was wir sind, was wir können oder auch nicht können und welchen Platz wir in der Welt haben.“

Diese Fragen führen zum einen dazu, dass wir Menschen ein Teil der Natur sind, dass wir abhängig sind von ihr, viel mehr als sie von uns, und dass wir nicht außerhalb oder gegen sie leben können. Das ist der ökologische Teil des Manifests. Zugleich aber hat der Mensch die „Fähigkeit zur Erkenntnis und zu vernünftigem Denken und Handeln“ und er ist zum Guten befähigt – aber: „Im Menschen war immer das antagonistische Potential, Mensch zu sein oder Unmensch zu werden.“ Das ist der humanistische Teil des Manifests. Solche Ambivalenzen durchziehen das ganze Buch und erzeugen eine Stimmung, die der äußeren Schwellensituation durchaus angemessen ist: „Die von uns Menschen entfesselten Probleme haben sich bis in die Atmosphäre aufgetürmt.“

Was dabei entsteht, nennen die Autoren geerdetes Denken, und es bindet den Menschen zurück an seine Naturgrundlage. Ein im Kern unmenschlicher Anthropozentrismus wird verwandelt, indem der Mensch sich absichtlich in seinen natürlichen Umkreis einbettet, ohne dabei das eigentlich Menschliche aufzugeben. Das ist mehr eine Willensfrage als eine Frage von Regeln und daraus kann Gutes Leben entstehen. Deshalb schreiben die Autoren auch keine Handlungen vor, aber sie machen drastisch klar, dass der jetzige Pfad „anthropozentrischer Allmachtskategorien“ die Katastrophe nur beschleunigen wird: „Wir pflanzen lieber Millionen Bäume, statt den noch existierenden Wald sein Werk in Ruhe tun zu lassen. Wir ersetzen mit Milliardenaufwand ressourcenverbrauchende, übergewichtige, für sinnlose Mobilität verwendete Benzinkarossen durch ressourcenverbrauchende, übergewichtige, für sinnlose Mobilität verwendete Elektrokarossen … Wir glauben noch immer, wir könnten die Erde retten, indem wir sie uns völlig unterwerfen.“

Neue Idee von Eigentum

Statt also über Regeln und Vorschriften nachzudenken, denken die Autoren ihren Ökohumanismus in verschiedene Bereiche hinein weiter. Einer davon ist eine Idee von Eigentum, die es in Bezug auf die Natur nicht geben kann, wenn wir doch selbst ein Teil von ihr sind. Möglich sind lediglich Nutzungsrechte. Wirtschaft ist ein Werkzeug, und „Wertschöpfung kann künftig nur sein, was nicht Lebensgrundlagen zerstört, sondern sie pflegt und befördert. Alles andere ist Schadschöpfung.“ In der Bildung geht es für die Autoren vor allem um den Erwerb von Menschlichkeit: Dafür müssen statt Wissensanhäufung Entfaltungshilfen und Selbstwirksamkeit im Zentrum stehen. Und Demokratie braucht Partizipation, um überhaupt zukunftsfähig zu sein.

Die Leser:innen dieser Zeitschrift werden im Ökohumanistischen Manifest viele Anknüpfungspunkte finden und sich verstärkt aufgefordert fühlen, gemeinsam mit der Natur den nächsten Schritt der Menschheitsentwicklung anzugehen. Es ist nicht (nur) die große Politik, es ist auch nicht (nur) der individuelle Verzicht, was die Krisen überwindet; es sind vor allem die gemeinsam gebildeten lebendigen Zusammenhänge, in denen Gutes Leben beginnt. 

Luisa Neubauer und Bernd Ulrich: Noch haben wir die Wahl. Ein Gespräch über Freiheit, Ökologie und den Konflikt der Generationen. Tropen, Stuttgart 2021, 240 Seiten, 18 €

Pierre L. Ibisch und Jörg Sommer: Das ökohumanistische Manifest. Unsere Zukunft in der Natur. Hirzel, Stuttgart 2022, 176 Seiten, 15 €

Über den Autor / die Autorin

Anna-Katharina Dehmelt

Anna-Katharina Dehmelt, Jahrgang 1959, studierte Musik, Wirtschaftswissenschaft und Anthroposophie. Sie hat intensiv auf dem Feld der anthroposophischen Meditation gearbeitet, geforscht, vernetzt und anthroposophisches Meditieren bekannt gemacht, zuletzt auch mit dem von ihr begründeten Institut für anthroposophische Meditation. Zudem ist sie Dozentin an verschiedenen anthroposophischen Ausbildungsstätten.
Seit Mai 2021 ist sie Redakteurin bei info3.