Die Planeten-Diät

Essen, was uns selbst und der Erde gut tut – die Ernährungsexpertin Maike Ehrlichmann zeigt, warum das jetzt ansteht und wie es gehen kann.

Die Erde ist krank. Eines der gravierendsten Symptome dafür: Sie hat Fieber, das Klima erhitzt sich in besorgniserregender Weise.

Die Art und Weise der Ernährung der Menschheit trägt ganz wesentlich zur Belastung des Klimas bei. In Deutschland wurden 2005 6,3 Prozent aller CO2-Emissionen (weltweit 13 Prozent) allein aus der Landwirtschaft freigesetzt, heißt es beim Bund für Ökologische Landwirtschaft. Rechnet man noch die Erzeugung von chemisch-synthetischen Düngern und Pestiziden mit ein, kommt man auf 16 Prozent. Mit Landnutzungsänderungen, wie etwa Regenwaldabholzung, sogar auf rund 30 Prozent.

Das ist zum einen für viele nichts Neues und zum anderen nicht meine Profession. Ich möchte über die Therapie schreiben, die ein Team aus hochkarätigen Wissenschaftlern jetzt verordnet hat. Eine Kommission von 37 Experten aus 16 Ländern mit den Fachgebieten Klimawandel, Nachhaltigkeit, Wirtschaft, aber auch Professoren der Ernährung aus Harvard und Oxford. Eine Ernährungstherapie, eine Diät sozusagen, erschienen im renommierten Fachmagazin Lancet im Januar 2019. Der Vorsitzende der Kommission, Professor Walter Willet, bringt es auf den Punkt: „Die Ernährung der Weltbevölkerung muss sich drastisch ändern”.

Die Forschungsarbeit beschreibt, wieviel wir wovon essen dürfen, um den Planeten möglichst wenig zu belasten. Dabei erscheint der Anbau von Pflanzen in der Regel wesentlich klimafreundlicher. Er verbraucht weniger Ressourcen. Tierzucht hingegen stellt aus Sicht der Klimaforscher einen Umweg dar; erst müssen die Pflanzen wachsen, mit denen die Tiere gefüttert werden, die wir dann essen. Oder deren Produkte, also das Ei, die Milch, den Käse. Ganz besonders schlecht kommt das Rind dabei weg, da es zur geringen Energieeffizienz auch noch ein weiteres Manko mit sich bringt: Es erzeugt aufgrund seiner spezifischen Verdauung, dem Wiederkäuen, das klimaschädliche Methan. Das beeinträchtigt die Atmosphäre noch stärker als das CO2, etwa  21 Mal so sehr.

Gesund sein geht nur auf einem gesunden Planeten

Über diese Schlussfolgerungen muss ich als Ernährungsberaterin natürlich nachdenken. Was rate ich denn meinen Klienten, wenn ich möchte, dass sie gesund bleiben? Gehört nicht auch dazu, dass wir alle einen gesunden Planeten brauchen? Ohne den kann niemand ein gesundes Leben führen.

Mit jeder neuen Erkenntnis über die Klimabelastung durch die Art unserer Ernährung wird die Frage deutlicher: Können wir Flug-Ananas, die Avocado mit enormen Wasserverbrauch im Anbau oder das Frühstücksei im großen Kontext eigentlich noch als gesund bezeichnen? Sind zwei Cappuccinos am Tag immer noch in Ordnung? Brauchen wir eine neue Definition?

Die Diätverordnung der Wissenschaftler beachtet ebenfalls die Gesundheit des Individuums. Das Motto: Was für den Planeten gut ist, ist auch für jeden einzelnen Menschen gesund. Ihre Diät soll vor Herzkreislauferkrankungen schützen, vor Krebs, vor Übergewicht. Die Regeln sind streng: „Der weltweite Verbrauch von ungesunden Lebensmitteln wie etwa rotes Fleisch und Zucker muss um 50 Prozent reduziert werden.“ Da wir Deutschen von beidem viel verzehren, müssen wir beim Fleisch sogar auf ein Zehntel dessen reduzieren, was momentan üblich ist. Beim Zucker etwa auf ein Drittel. Von den gesunden Sachen, also Nüssen, Früchten, Gemüse und Hülsenfrüchten dürfen alle mindestens 100 Prozent mehr essen.

Nüchterne Fakten

Zur Gesundung des Planeten empfohlen werden pro Tag:

  • 7 Gramm Schweinefleisch und sieben Gramm Rind- oder Lammfleisch (je etwa ein 25stel Schnitzel)
  • 29 Gramm Geflügel (etwa 1,5 Chicken McNuggets, ein Standard Hähnchen-Cordon-bleu liegt bei 200 Gramm)
  • 28 Gramm Fisch (das ist etwa ein Fischstäbchen)
  • 13 Gramm Eier (wöchentlich also etwa eineinhalb Eier der Größe M)
  • 30 Gramm zugesetzten Zucker (6 bis 7 Teelöffel pro Tag, soviel wie die WHO empfiehlt, etwa eine halbe Kugel Eiscreme)
  • 550 Gramm Obst und Gemüse (das sind in etwa die berühmten fünf Hände voll), davon aber nur 50 Gramm stärkehaltige Sorten (also zum Beispiel eine kleine Kartoffel)
  • 230 Gramm Vollkornprodukte wie Reis, Weizen oder Mais und 125 Gramm Linsen, Nüsse und Erbsen (eine große Portion Reis und 3 bis 4 Scheiben Brot sowie eine Handvoll Nüsse, 1,5 Teelöffel Nussmus, eine Portion Linsensalat)
  • 250 Gramm Milchprodukte (etwa ein großes Glas Milch oder 200 Gramm Joghurt oder ein großer Latte Macchiato, oder ca. zwei dünne Scheiben Käse, etwa 40 g)
  • 50 Gramm Öle und Fette (etwa fünf Esslöffel)

Da sind sie also, die exakten Vorgaben, um mit Messer und Gabel die Welt zu retten. Es sind Durchschnittswerte. Die sind in diesem Falle natürlich sehr gut, um den krassen Kontrast zu unserem üblichen Verzehr aufzuzeigen.

Aber – und jetzt kommen wir zu dem zweiten Thema, das mich in der Beratung betrifft – helfen solche Zahlen den Menschen, anders zu essen?

Stellen wir uns einmal vor, was in den Köpfen und Herzen passiert, wenn sie in der Süddeutschen Zeitung lesen: „43 Gramm Fleisch am Tag sind genug“. Oder in der Schlagzeile des Spiegel „Iss nur 43 Gramm Fleisch pro Tag, rette die Welt“. „Wer gesünder leben und dabei die Umwelt schützen will, sollte weniger Rindfleisch essen“, titelt die Zeit.

Dabei will ich jetzt nicht einmal die Frage stellen, ob nicht deutlich zu unterscheiden wäre zwischen einem Rind aus industrieller Landwirtschaft, einem Bio-Rind und einem aus biodynamischer Landwirtschaft. Daran hat sich beispielsweise Dr. Anita Idel abgearbeitet und das in ihrem Buch Kühe sind keine Klimakiller dargelegt. Mir geht es darum, ob solche Nachrichten zum Handeln motivieren. Sicherlich bestärken diese krassen Zahlen alle, die sich ohnehin schon bemühen. Aber es wird auch viel Frustration geben: „Erst die Ökosteuer und jetzt nimmt man mir auch noch mein Steak weg!“

In der Bild am Sonntag vom 17.02.2019 wurde es ein bisschen vorsichtiger  erklärt und ein positives Bild aus der guten alten Zeit bemüht: den Sonntagsbraten. Zu einer Portion davon summiert sich nämlich die tägliche Fleischmenge im Laufe einer Woche auf. So könnte man es also auch machen. Damals, in den 1950ern und 1960ern, habe man noch nachhaltiger gegessen, so der Ernährungswissenschaftler und Lebensmittel-Experte Prof. Dr. Guido Ritter im Gespräch mit dem Blatt. Und wir haben alle noch viel mehr für unser Essen arbeiten müssen, es war weitaus teurer. „Oma hat es gut gemacht, das können wir auch!“ Das ist doch schon einmal eine positivere Herangehensweise.

Motivation ist wichtiger als Grammangaben

Um das Ernährungsverhalten zu verändern, ist Motivation wichtiger, als es exakte Grammangaben sind. Am besten etwas, das von innen heraus kommt. Denn die eigenen Emotionen wirken stärker als jede logische Überlegung!

Tatsächlich zeigt die Verhaltensforschung zu Klimawandel (ja, das ist inzwischen eine eigene Disziplin!), dass alle Erkenntnisse über die Klimakrise die Menschen noch kaum zu einem CO2-bewussteren Handeln bewegt haben. Selbst bei einem Anstieg des Wissens und der Überzeugung, dass die Krise da ist, wächst das klimarelevante Handeln nicht mit. Bewusstsein reicht also nicht?

Ich kann dieses Phänomen nur aus der Ernährungssicht bestätigen. Wird mir jemand mit stark erhöhten Cholesterinwerten vom Arzt geschickt, so weiß er sicher über sein Risiko für sein Herz Bescheid.  Der Arzt hat es ihm erklärt, ich tue das und bestimmt hat er auch schon gegoogelt. Aber anders zu essen ist trotzdem schwer. Viel einfacher und schneller fällt eine Ernährungsumstellung beispielsweise einem Patienten, der gerade einen Herzinfarkt erlitten hat.

Es klingt hart, aber der Leidensdruck muss groß sein. Und manchmal denke ich, die Menschheit hat noch lange nicht eingesehen, dass wir längst mitten im Infarkt stecken. Die Frage ist allerdings, ob wir noch genug Zeit haben, bis sich jede und jeder Einzelne betroffen genug fühlt oder ausreichend empathisch ist.

Das Wünschenswerte leichter machen

Und muss es überhaupt der so oft zitierte mündige Verbraucher sein, der diese Verantwortung allein übernimmt? Wer in der Ernährung gesamtgesellschaftlich denkt, setzt heute stark auf Verhältnisprävention im Unterschied zur Verhaltensprävention. Vor allem die Rahmenbedingungen sollen sich ändern. „Make the better choice the easy choice”, heißt es da. Also die gewollte Entscheidung einfach machen. Jedenfalls darf es nicht wehtun, so wie im Moment, wo man für den Preis der Nussmischung bei Dm oder bei Aldi locker ein halbes Kilo Hackfleisch bekommt.

Dabei sind viele Konzepte schon ganz offensichtlich. Ich bin da keine Expertin, aber mir fällt sofort das Stichwort „wahre Preise für Lebensmittel“ ein (info3 berichtete im Dezember). Unter dem Titel „Was kosten uns die Lebensmittel wirklich“ hatte etwa die Schweisfurth Stiftung im vergangenen Jahr eine Studie dazu veröffentlicht. Sie haben Stickstoff, Klimagase, Energieerzeugung auf die Lebensmittelpreise aufgeschlagen. Eines der Ergebnisse: Konventionelle Milcherzeugnisse müssten im Laden etwa 30 Prozent teurer sein, biologische nur etwa zehn Prozent. Konventionelle Produkte kosten also in Wahrheit etwa so viel wie die Biovarianten.

Eine Umsetzung davon wäre nur ein Gedanke zum politischen Eingreifen. Viele  NGOs, wie etwa Greenpeace, Slowfood oder das Bündnis Wir haben es satt haben überzeugende Forderungen gestellt, statt finanzieller Förderung klimaschädlicher Produktion eine nachhaltige Landwirtschaft zu unterstützen.

Solche Maßnahmen haben übrigens auch die Wissenschaftler der Lancet-Studie eingefordert. Vielleicht wäre es eine schöne Aufgabe für die Medien gewesen, diese Botschaft weiterzutragen und nicht nur mit aufmerksamkeitsheischenden Titeln zu provozieren: wie wir mit Messer und Gabel die Welt retten sollen. Durch intelligente politische Vorgaben können wir eine Welt formen, in der das auch die breite Masse will. ///

Ein Text aus der Märzausgabe der Zeitschrift info3 zum Thema “Essen, was gut tut”. Hier das Einzelheft bestellen.

Über den Autor / die Autorin

Maike Ehrlichmann

Maike Ehrlichmann ist Ernährungswissenschaftlerin und zertifizierte Ernährungsberaterin, Autorin und unbedingter Fan des guten Geschmacks.