„Wasser ist ein atmendes System“

Herbert Dreiseitl inmitten eines Modells für das Projekt Seasonal Water / Foto: Büro Dreiseitl

Das fließende Element bestimmt nicht nur ganz wesentlich die äußere Gestalt der Erde, es hat auch mit unserem Innern viel zu tun. Mit dem Landschaftsarchitekten Herbert Dreiseitl haben wir über die intelligente Schönheit des Wassers gesprochen und darüber, wie die menschliche Seele sich in Landschaften und Architektur widerspiegelt.

Welche Landschaften waren in der Kindheit für Sie prägend?

Eine sehr prägende Erinnerung meiner frühen Jahre sind die Landschaften an der Donau um den kleinen Vorort von Ulm herum, wo ich aufgewachsen bin. Dort erstreckten sich wunderschöne Riedwiesen, ehemalige Moorgebiete. Diese faszinierende Landschaft zwischen Wasser und Land übte eine tiefe Anziehungskraft auf mich aus. In dieser nebligen Zwischensphäre aus Luft, Wasser, Moor und Erde spürte ich, wie die Grenzen verschwimmen und eine mystische, faszinierende Atmosphäre entsteht. Eindrücklich war auch ein Bergdorf in den deutschen Alpen, wo meine Mutter als Lehrerin tätig war und wir zeitweise lebten. Die Erlebnisse mit Bergbächen dort haben mich stark geprägt. Wir stauten sie auf, beobachteten sie und experimentierten mit ihnen.

Jetzt leben Sie am Bodensee. Was fällt Ihnen hier ins Auge?

Der See hat immer wechselnde Farben, im Moment ein wunderschönes Dunkelgrün. Das hängt mit der Algenblüte zusammen. Im Januar ist der See hochtransparent mit einer Sichttiefe von über zehn Metern, dann wird er ganz klar Ende Mai, weil die Kieselalgen alle Schwebsubstanzen rausfressen und dann türkisgrün. Wenn diese Algen absterben, wird das Türkis eher zu einem Dunkelgrün durch andere Algen gegen Ende August, und am Schluss bekommt er wieder diese Blaufärbung, wenn die Gletschermilch hineinkommt.

Haben Landschaften eine Seele – und anders herum, ist die Seele vielleicht eine Landschaft?

Ich denke, die Landschaft im Außen und die Landschaft im Innen habe eine große Verwandtschaft. Was draußen passiert, erzeugt unmittelbar eine Resonanz mit der eigenen Seelenhaltung. Insofern ist Landschaft auch Seelenwelt beim Menschen. Die Landschaft wirkt harmonisierend, ausgleichend, kann Stimmungen beeinflussen. Bei Einsamkeit und Depression kann ich mich öffnen und in die Landschaft rausgehen. Wasser ist auch ein wunderbares Element, um Ängste abzubauen, Vertrauen zu lernen, getragen zu sein und trotzdem etwas tun zu müssen, um nicht unterzugehen. Vor allem im Unterbewussten entfaltet das seine Wirkung. Mich bewegt besonders ein tieferes Verhältnis zum Wasser. Es ist wichtig, über das rein Physikalische hinaus zu schauen, in die Stimmung zu gehen, die das Wasser in Korrespondenz mit anderen Elementen transportiert.

Haben Sie in Ihrer internationalen Tätigkeit als Landschaftsarchitekt überall gleichermaßen Verständnis für die subtilen Qualitäten der Landschaft und des Wassers angetroffen?

Oft hindern die lebensfernen, abstrakten Ansichten eine gute Architektur. Das Interessante ist, dass selbst bei den extremsten Hardlinern Offenheit für Veränderung entsteht, wenn man auf diese seelisch-geistigen Qualitäten aufmerksam macht. Für die Gestaltung des Potsdamer Platzes in Berlin habe ich meine Entwürfe mit den großen Architektur-Büros besprochen. Die Star-Architekten haben mir gesagt: „Dein Wasser muss zu unseren Bauten passen, am besten als Spiegel unserer Architektur, also bitte keine Wellen und keine Pflanzen.“ Nachdem ich zum Glück unseren Bauherren überzeugen konnte, Pflanzen, Regenwasserkollektion und andere ökologische Elemente einzubauen, kamen im Nachhinein vor allem die Hardliner auf mich zu und haben mir sogar den Vorwurf gemacht, nicht genug Grün und Vegetation eingebracht zu haben.

Die moderne Urbanität könnte man auch als Symbol des sich selbst bespiegelnden Geistes interpretieren. Was für ein Geist spiegelt sich in den urbanen Arrangements und Landschaften, die Sie gestalten?

Diese Selbstbespiegelung, dieses Sich-Abschnüren, sich selbst als Ego zu zelebrieren, das kommt an ein Ende. Den Menschen zu finden in seiner Eigenart ist sicher ein notwendiger Schritt in der Architektur und Stadtplanung gewesen, der aber überwunden werden muss. Jetzt kommen verstärkt Dinge wie Dachbegrünung, atmende Fassaden, naturbasierte Lösungen ins Spiel. Es entsteht ein In-Beziehung-Treten mit der Umwelt, aus der wir rausgefallen sind. Wenn wir unsere Innenstädte mit ihren Einfamilienhäusern und Wohnungen anschauen, spiegeln sich darin lauter kleine stolze Egos. Mir geht es viel stärker um ein atmendes Korrespondieren mit dem, was Natur beziehungsweise Umwelt ist, und das stellt geistig das Individuum und den Menschen in einen Zusammenhang mit ihr. Beim Wasser sieht man diese Kehrtwendung ganz besonders.

Inwiefern?

In den letzten 100 Jahren ging es immer darum, Wasser in Kreislaufsysteme zu bringen und in möglichst kurzen Kreisläufen zu halten. Das ist dem Wesen des Wassers völlig zuwider, denn es ist ein geradezu kosmisches Element, das mit allem in Verbindung steht, ein Wahrnehmungsorgan zwischen Himmel und Erde. Wasser ist wie ein atmendes System. Der Gedanke des mechanischen Kreislaufs ist viel zu kurz gedacht, denn das Isolieren von Wasserkörpern entspricht dem Wasser nicht.

Wie stehen Ihre Arbeit und die Wertschätzung des Organischen im Verhältnis zu den technologischen und technokratischen Tendenzen, die uns immer stärker prägen?

Technologie und Künstliche Intelligenz sind nicht allein gut oder schlecht, sondern Werkzeuge. Leider geht in der Landschaftsarchitektur an Universitäten und in der Praxis oft verloren, was ich flüssig-kreatives Denken nenne. Mit meinen Studentinnen und Studenten beobachten wir Wasser bis hin zum Modellieren von ganzen Flussläufen. Das geht so weit, dass man die Strömungen am Ende nicht mehr physisch zu sehen braucht, sondern sie nur noch denkerisch imaginiert. Wenn man sich das aneignet, kommt man so tief in die Naturlogik der Wasserbewegung hinein, dass man weiß, wie ein Fluss an einer bestimmten Stelle idealerweise aussehen müsste, wie er sich bewegt, wo der Prall- und der Gleithang sich befinden. Man kommt in ein flüssiges Denken hinein, wie der Fluss sich eigentlich bewegen will. Dafür können aber auch numerische Strömungssimulationen verwendet werden, die auf komplexen Rechenmodellen und IT-Technik basieren. Allein auf diese sollte man sich aber nicht verlassen, sie reichern die Interpretationsgrundlage an, aber die Interpretation ist das Entscheidende und die muss der Mensch tun.

Welche Rolle spielen Rudolf Steiner und die Anthroposophie, die Sie ja immer begleitet haben, in Ihrem Leben?

Das sind ganz wichtige Quellen meiner Arbeit, zu denen ich auch stehe. Ich selber war in Ulm an der Waldorfschule und bin froh, dass meine Kinder und Enkelkinder auf Waldorfschulen sind und waren. Dort habe ich tolle Lehrer gehabt, Heinz Häusler, der die Alanus-Hochschule als Bildhauer mitbegründet hat, einen tollen Arzt, Lothar Vogel, der sich mit Dreigliederung beschäftigt hat. Später waren für mich besonders die Erfahrungen mit Theodor Schwenk vom Institut für Strömungswissenschaften sehr erhellend. Hugo Kükelhaus‘ Sinneswahrnehmungen verdanke ich viel, wie auch den frühen Arbeiten von Joseph Beuys, den ich noch in Achberg erlebt habe, und natürlich meiner frühen Zusammenarbeit mit dem Wasserkünstler und Forscher John Wilkes. Neben Inspiration erlebe ich auch Irritationen. In meiner Arbeit hat mich immer abgestoßen, nur in einer Blase von Gleichdenkenden zu sein.

Was könnte die anthroposophische Bewegung vom Wasser lernen?

Sie könnte vom Wasser lernen, nach einem inneren Gesetz Neues hervorzubringen, aber nie etwas zu wiederholen oder erstarren zu lassen, Formen aufzulösen und wieder neu zu bilden und nicht in Dogmen zu verharren. Wie zum Beispiel ein Fluss sich immer wieder neu gebiert, sich immer wieder umformt, aber zu den gleichen Grundprinzipien zurückkommt. Wasser geht immer mit dem Fluss.

An welchem noch ungeborenen Projekt würden Sie gerne in Zukunft mitwirken?

Was mich faszinieren würde, wäre ein Institut, ein Studio oder eine Akademie für Forschung und Lehre speziell zum Wasserthema. Es gibt so viele junge Menschen, die vom Wasser lernen wollen, aber es gibt keine Einrichtungen dafür. Gut wäre ein Ort, wo man Versuche mit Wasserformen machen kann, die auch ganz stark ins Kreative reingehen, und wo die Grenzen zwischen technischen Lösungen, Kunst, Forschung und Pädagogik fließend werden. Gerade das Wasser zeigt uns, dass es starre Grenzen nicht gibt. Wasser ist immer intelligent und ästhetisch elegant im Lösen von technischen Problemen. Sedimentation, Lösung, Temperaturausgleich, Stoffwechselvorgänge – all das leistet das Wasser immer in einer unglaublichen Schönheit und Harmonie. Deshalb gibt es gar keine Trennung zwischen Kunst und Technik; die Grenze ist fließend. ///

Ein Text aus der Ausgabe Oktober 2023 der Zeitschrift info3. Hier gleich abonnieren!

Über den Autor / die Autorin

Alexander Capistran

Alexander Capistran studierte Philosophie in Berlin, an der Cusanus Hochschule in Bernkastel-Kues und an der Universität Witten/Herdecke. Er
arbeitet als Organisationsentwickler bei Gravitage.org und als
Publizist, lebt bei Dresden und promoviert über die Philosophie der
Mobilität. Seit Januar 2021 ist er Mitarbeiter in der info3-Redaktion.