Kampf gegen Pestizide

In wenigen Monaten wird in Deutschland ein neuer Bundestag gewählt. Werden sich dann die Grünen in ihrer Koalition mit der Kanzler-Partei soweit durchsetzen können, dass die seit Langem anstehenden Umweltprobleme endlich einer Lösung näher rücken? Zweifel sind angebracht. Wer trotzdem weiter hoffen will und dafür Argumente sucht, wird mit Gewinn den neuen Sammelband zur Pestizidproblematik zu Rate ziehen, den Mathias Forster und Christopher Schümann im Namen der Bio-Stiftung Schweiz herausgegeben haben. Renate Künast, die sich einst als Ministerin für Landwirtschaft umsonst bemüht hat, die Macht der Agrarprofiteure einzudämmen, vergleicht das Buch mit Rachel Carsons Der stumme Frühling und nennt es einen „Meilenstein für das Ende des Pestizidzeitalters“.

Die beteiligten Autor:innen haben eine Fülle von neuen und neuesten Untersuchungen zusammengetragen. Man findet Material über Umweltzerstörung und Artenschwund, über Glyphosat und die berüchtigten Neonikotionide und viele andere heiße Themen, alles untermauert mit detaillierten Berichten über wissenschaftliche Studien, daneben empörende Einzelheiten über den Verkauf profitabler Gifte, die bei uns längst verboten sind, in Entwicklungsländer, über verfehlte staatliche Subventionen, über die Manöver der Agrar-Lobby, die ganz andere Interessen bedient als die der kleinen und mittleren Bauern, über extrem einseitige Forschungsstrategien. Pestizide sind heute überall nachweisbar, im Trinkwasser, im Urin, in der Muttermilch (info3 widmete dem Thema die Oktoberausgabe 2020). Man setzt angeblich tolerable Grenzwerte dafür fest, aber so gut wie niemand untersucht, wie die verbreiteten Gifte sich in „Cocktails“ miteinander verhalten und womöglich in ihrer Wirkung bedrohlich steigern.

Hoffnung erwecken die eingestreuten Praxisberichte einzelner Bio-Pioniere wie die Geschichte des Gutes Rheinau bei Schaffhausen. Felix Prinz zu Löwenstein, ein prominenter Vertreter der Bio-Landwirtschaft in Hessen, schildert anschaulich, wie er als Student der Agrarwissenschaften in Weihenstephan auf akademischem Niveau in die Weisheiten der Agrar-Chemie eingeweiht wurde, und wie er sich als verantwortlicher Praktiker schrittweise davon befreit hat. Bewegend auch ein Interview mit Vandana Shiva, der bekannten Öko-Aktivistin aus Indien, und ein Gespräch mit Pawan Chamling, der es als Ministerpräsident des kleinen Himalaya-Staates Sikkim fertiggebracht hat, die gesamte Landwirtschaft dort komplett auf Bio umzustellen (seit 2015, info3 berichtete). Es wird noch lange dauern, bis wir in Europa so weit sind.

Johannes Kiersch

Mathias Forster / Christopher Schümann (Hrsg.): Das Gift und wir. Wie der Tod über die Äcker kam und wie wir das Leben zurückbringen können. Westend Verlag Frankfurt am Main 2020, € 29,95

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