Digitale Revolution

Sie verpestet nicht die Luft, sie schädigt nicht das Klima, sie führt keine Kriege – die Digitalisierung tritt nicht durch spektakuläre Ereignisse in den Nachrichten auf. Dennoch greift sie heute wie kein anderes Phänomen in alle Lebensbereiche hinein, verändert die Welt, verändert uns. Sie ist eine stille, eine unbemerkte Revolution.

Revolutionen haben es an sich, durch den Umsturz des gültigen Paradigmas alles umzuwerfen. Das bisherige Paradigma lautet: Der Mensch ist das Subjekt – das Subjekt, von dem Gesellschaft gestaltet wird und für das Gesellschaft da ist. Es lautet auch: Der Mensch ist das Subjekt der Geschichte. Geschichte, also die Entwicklung von Kultur, Wirtschaft und Politik, wird geprägt von kollektiven und individuellen Faktoren, Ideen, Absichten, Taten und Leiden, in jedem Fall aber davon, wie Menschen absichtsvoll handeln oder sich zumindest zu bestimmten Bedingungen und Herausforderungen verhalten.

Inzwischen aber geht ein Gespenst um im Diskurs über unsere Zukunft: Es heißt Singularität. Damit ist der angenommene Zeitpunkt gemeint, an dem die Selbstverbesserungs-Fähigkeit Künstlicher Intelligenz so weit fortgeschritten sein wird, dass sie umkippt in eine nicht mehr voraussagbare Richtung: Das würde die Übernahme der Planung weiterer zivilisatorischer Entwicklung durch Künstliche Intelligenz selbst bedeuten. Übertriebene Ängste? Machen wir uns nichts vor: Schon jetzt gibt es reichlich Vorboten dieser Art von Abgabe von Verantwortung an intelligente Systeme: die komplette Digitalisierung unserer Telefonnetze etwa, der bevorstehende fahrerlose Straßenverkehr oder die umfassende Erfassung von Krankendaten. Die stets angenommene Effektivität setzt hier schon jetzt anonyme Prozesse in Gang, die nicht mehr im klassischen Sinne intendiert sind, sondern aus technischen Sachzwängen folgen.

Damit dringt in immer weitere Bereiche des Lebens eine Qualität vor, die der Computer-Experte und Philosoph David Gelernter auf die Formel brachte: Für KI-Experten ist Geist gleich Intelligenz und Intelligenz gleich Rechnen – ein gefährlich verkürztes Verständnis! Ob genügend viele Menschen ein Bewusstsein davon entwickeln können, dass Geist mehr ist als Rechenleistung? Hier sind wir alle gefragt.

 

Unsere Beiträge im Schwerpunktheft Januar 2018: Betende Roboter – Künstliche Intelligenz von allen Seiten (Ronald Richter) / Wo Digitalisierung im Gesundheitswesen hinführen kann – die Zukunft ist schon da (Dr. Frank Meyer) / Die Verbesserung des Menschen – Humanismus oder Transhumanismus? (Prof. Roland Benedikter) / Wenn uns die Maschinen segnen –  Spielerei mit ernstem Hintergrund (Dr. Silke Kirch) – Außerdem: Unschlagbare Schachcomputer, reingefallen im Turing-Test und Durchblick bewahren im Chinesischen Zimmer.

 

Über den Autor / die Autorin

Jens Heisterkamp

Jens Heisterkamp, geboren 1958 in Duisburg, wuchs im Ruhrgebiet auf. Er studierte an der Ruhruniversität Bochum Geschichte, Literaturwissenschaft und Philosophie und wurde 1988 zum Dr. phil. promoviert. Nach der Begegnung mit der Anthroposophie lernte er während seines Zivildienstes die Heilpädagogik kennen und arbeitete als Dozent in der Erwachsenenbildung, kurzzeitig auch als Waldorflehrer, dann als Herausgeber und Autor. Seit 1995 ist er verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift info3 sowie Verleger und Gesellschafter im Info3 Verlag in Frankfurt am Main. Seine Themen sind Dialoge in Religion, Philosophie und Spiritualität, Offene Gesellschaft, Ethik.

Schreiben Sie einen Kommentar