Heilkräfte in der biodynamischen Züchtung

Foto: Demeter

Gebhard Rossmanith gehört wohl zu den engagiertesten Kämpfern für eine Gemüsezüchtung im Einklang mit der Natur. Über 20 Jahre war der Gartenbau-Ingenieur Vorstand der Bingenheimer Saatgut AG, einem renommierten Unternehmen für Saatgut aus ökologischem und vor allem biodynamischem Anbau. Auch im vermeintlichen Ruhestand setzt sich der 67-Jährige mit seinem Beratungsbüro für ökologisches Saatgut & Züchtung in Brüssel und Berlin weiter für die biodynamisch entwickelten Demeter-Gemüsesorten ein.

Herr Rossmanith, warum ist eine biologisch-dynamische Gemüsezüchtung so wichtig?

Die wenigsten Verbraucherinnen und Verbraucher sind sich darüber im Klaren, dass die Grundlage für Gemüse auch im Bioladen sehr häufig Saatgut aus den Laboren der großen konventionellen Konzerne ist. Daraus ergeben sich mindestens zwei Problemfaktoren: Erstens eine enorme Abhängigkeit. Denn Hybrid-Sorten, die im Anbau und der Vermarktung gegenüber samenfesten Sorten oftmals Vorteile bringen, können nicht selbst vermehrt werden, sondern müssen jedes Jahr neu eingekauft werden. Zweitens: neben dieser Abhängigkeit von der konventionellen Saatgut- und Züchtungs-Industrie spielt Nahrungsqualität bei der Entwicklung dieser Sorten keine Rolle. Pioniere der biodynamischen Bewegung haben dies sehr früh erkannt und daher vor über 30 Jahren angefangen, eigene Sorten im Naturzusammenhang von biodynamischen Höfen zu entwickeln. In der Züchtung zeigt sich unser Umgang mit der Pflanze. Die Methodik muss der Wesenhaftigkeit der Pflanze entsprechen, das ist unsere Überzeugung. Wir dürfen die Pflanze nicht zum Objekt, zur Maschine machen. Mit dieser Haltung schauen biodynamisch wirtschaftende Menschen ihren ganzen Betrieb an, als lebendigen Organismus. Immer mehr erkennen nun, dass wir auch beim Ursprung nahezu aller Lebensmittel, dem kleinen Samenkorn, noch konsequenter werden müssen. Gerade in der Entwicklung von Sorten zeigt sich die gestaltende Mittlerkraft des Menschen, da arbeite ich mit den ätherischen Kräften, den Kräften des Lebendigen. Es ist von großer Bedeutung, wie wir damit kulturschaffend umgehen.

Das ist jetzt durch die Brille des Gärtners geschaut, aber was bedeutet die Züchtungsfrage für die Menschen, die gutes Gemüse essen wollen?

Triebfeder ist natürlich, etwas Gutes kulturschaffend gestalten zu wollen für die positive Entwicklung des Menschen. Bei der biodynamischen Züchtung steht die Ernährungsqualität im Vordergrund, nicht der Massenertrag. Selbstverständlich müssen auch biodynamische Züchterinnen und Züchter einbeziehen, was in Anbau und Vermarktung benötigt wird. Die Frage der Ernährungsqualität wird aber stets mit in den Blick genommen.

Und wo steht die biodynamische Pflanzenzüchtung da?

Es sind inzwischen rund 130 Gemüse-Sorten Demeter-zertifiziert und vom Bundessortenamt zugelassen. Das ist eine beeindruckende Leistung. Dennoch ist es in all den Jahrzehnten nicht gelungen, einen relevanten Marktanteil für biodynamische, samenfeste Sorten zu erreichen, die im Unterschied zum Hybrid-Saatgut vermehrungsfähig sind (siehe Kasten). Der Grund ist der enorme Preisdruck auf die Betriebe. Selbst unsere engsten Verbündeten sind gezwungen, wieder verstärkt auf Hybride zurückzugreifen. Das ist ein echtes Dilemma, unter dem Gärtnerinnen und Gärtner leiden. Es tut in der Seele weh, jedes Jahr die Kompromisslinie immer weiter hinausschieben zu müssen. Andererseits sehen wir am Beispiel der Saftverarbeitung bei Voelkel und Beutelsbacher, was alles möglich ist, wenn auch der Wille da ist. Die Säfte mit Möhren aus biodynamischer Züchtung haben sich ihren Platz erobert, auch wenn es immer noch eine Nische ist. Mit den Richtlinien für biodynamische Züchtung hat Demeter 2010 Pionierarbeit geleistet, war der erste Verband, der eine Zertifizierung von samenfesten Sorten in sein Regelwerk eingearbeitet hat. Aus meiner Sicht brauchen wir diesen zentralen Mosaikstein für die Qualitätsvision für den gesamten biodynamischen Landbau. Und wir brauchen eine noch stärkere Züchtungsarbeit. Ich habe die Erwartung an die Züchtenden, dass sie sich in diesem Sinne ganz als Dienstleistende verstehen. Gutes für andere zu tun, das ist doch unsere Vision in der biodynamischen Wirtschaftsweise. Dafür müssen Züchtung, Anbau, Verarbeitung und Handel sich gemeinsam stark machen.

Der Blick auf die Pflanze verändert sich in den letzten Jahren. Selbst Wissenschaftler sprechen inzwischen über die Integrität von Pflanzen. Hilft dieser Diskurs?

Eine breite Diskussion über die ethische Dimension unseres Tuns hilft. Wer sich, wie in der Schweiz mit den Rheinauer Thesen geschehen, mit der Würde der Pflanzen beschäftigt, befördert unseren Ansatz. Die spirituelle Dimension einzubeziehen in den Umgang mit Pflanzen ist entscheidend. Spiritualität heißt in diesem Zusammenhang, sich der Kräftewelt bewusst zu nähern. Züchtung greift immer in die astralisch-ätherische Ebene ein. Die Frage ist jedoch, wie bin ich persönlich verbunden mit dem, was ich da tue. Bin ich mir dessen bewusst oder greife ich mit einer rein materiellen Sicht auf das Leben in ebendieses ein?

Wo sehen Sie als Lobbyist für Demeter-Sorten und -Saatgut aktuell die größte Herausforderung?

Unsere Bemühungen haben bis jetzt nicht das Ergebnis gebracht, das wir angesichts der enormen Dramatik, die sich durch den weltweiten Umgang mit der neuen Gentechnik ergeben wird, dringend benötigt hätten. Mit der Deregulierung der neuen Gentechnik innerhalb der EU droht ein Dammbruch, dessen Folgen viele gar nicht überblicken. Das ist eine Generalattacke auf den konsequenten ökologischen Landbau, und es ist derzeit offen, ob es gelingt, das zentrale Merkmal „gentechnikfrei“ für die Bio-Lebensmittel zu behalten. Und wer weiß schon, dass da Patentfragen mitspielen und somit die Abhängigkeiten weiter massiv verstärkt werden? Der für die Zukunft so wichtige Öko-Landbau würde erheblich beeinträchtigt, Europa würde die Rolle rückwärts machen.

Das klingt ja richtig bedrohlich. Bleibt da nur verzweifelte Resignation oder was kann jede:r tun?

Resignation kommt nicht in Frage! Natürlich machen wir weiter. Aber wir können es nicht allein. Es ist keine hohle Formel, sondern wahr, dass alle Macht bei den Verbraucher:innen liegt. Es kann sich der Demeter-Verband alles Mögliche an Schutzmaßnahmen ausdenken, es können die Züchter:innen arbeiten mit allem Engagement – wenn das Produkt nicht den Weg zu den Konsumierenden findet, dann ist das alles vergebliche Liebesmühe. Der Handel ist hierbei das Nadelöhr. Deshalb rate, ja bitte ich alle, denen unsere Lebensmittelqualität am Herzen liegt, immer wieder zu fragen, wo die Möhren, die Rote Bete, der Spinat, der Salat, der Broccoli herkommen und aus welchen Sorten sie entstanden sind. Wir alle haben ein Recht darauf zu erfahren, welche Züchtung dahintersteckt. Niemand muss warten, bis die neue Gentechnik alles überrollt, sondern kann heute schon sagen: Ich möchte keine Lebensmittel essen, die mit Hilfe von Labortechnik entstanden sind. Aber ich muss auch bereit sein, dafür angemessen zu bezahlen. Da bin ich dann in meiner Willenszone. Erinnern wir uns: Es gäbe keinen ökologischen Landbau, wenn nicht Menschen seit den 1970er Jahren bereit gewesen wären, für Ökolebensmittel mehr zu bezahlen. Die Zukunft guter Lebensmittel hängt davon ab, dass Verbraucher:innen aktiv werden. Das ist nicht zuletzt auch eine Frage der Solidarität.

Das hört sich nicht resigniert an, sondern kämpferisch.

Die tollen Beispiele in unseren Reihen, wie man trotz aller Probleme erfolgreich arbeiten kann, machen Mut und geben Kraft. Nein, es ist nicht alles verloren. Das Leben geht weiter und wir sind umso mehr aufgerufen, in Konsequenz und Solidarität das zu tun, was das Gegengewicht ist zu dem, was uns zu überwältigen droht. Und jetzt erst recht, wir rücken zusammen, damit ein neuer Kern entsteht, wie damals in den Pionierzeiten. Dabei hilft es zu sehen, dass das Dynamische in der biodynamischen Arbeit das ist, was auch Heilkraft hat. Daran halten wir fest, das stärkt uns. ///

Neue grüne Gentechnik – ohne Kennzeichnung?

Seit 2001 gelten EU-weit für „grüne Gentechnik“ strenge Regeln, die Verbraucher:innen Transparenz über gentechnisch veränderte Pflanzen garantieren und die Koexistenz von konventionellem und ökologischem Anbau gesichert haben. Seitdem wurden Methoden der „neuen Gentechnik“ wie CRISPR/CAS, die sogenannte DNA-Schere, entwickelt, die Befürworter:innen für ungefährlich halten. Das Verfahren erlaube präzise Eingriffe ins Erbgut. Die EU-Kommission will deshalb die Regeln nun lockern. Kritiker befürchten einen Dammbruch. Sie betonen: Der Großteil aller künftig mit Gentechnik manipulierten Pflanzen soll weder auf Risiken geprüft noch am Endprodukt gekennzeichnet werden, einzig auf der Saatgut-Ebene soll es eine Deklaration geben. Damit würde sich die EU-Kommission von der seit Jahrzehnten etablierten wissenschaftsbasierten Zulassung verabschieden. Und das Nebeneinander von konventioneller und ökologischer Landwirtschaft sei gefährdet, weil die moderne Gentechnik im Biolandbau nicht verwendet werden darf. Grünen-Politiker und Bio-Bauer Häusling fordert wie alle Öko-Verbände: „Biobauern müssen wissen, was im Saatgut drin ist, was der Nachbar anbaut. Wenn sie das nicht wissen, müssen sie selbst Vorsorge treffen, und das wird den Ökolandbau erheblich verteuern. Kontrollsysteme aufbauen, Untersuchungen machen – das geht eindeutig zu Lasten des ökologischen Landbaus.”

Hybrid oder samenfest?

Hybridsorten entstehen in der Züchtung, indem zwei reinerbige Pflanzensorten miteinander kombiniert werden, um eine besonders ertragreiche und gleichförmige Ernte in der sogenannten Tochtergeneration zu erhalten. Diese sogenannte F1-Hybride lässt sich nicht erneut anbauen, die Samen dieser Pflanzen sind bereits in der zweiten Generation nicht mehr zu verwenden – manche sprechen deshalb bei Hybriden auch von Einwegpflanzen. Um sie zu züchten, müssen zunächst die Elternpflanzen über mehrere Pflanzengenerationen hinweg allein mittels Selbstbefruchtung (als sogenannte Inzuchtlinie) vermehrt werden. Im letzten Schritt werden diese reinerbigen Pflanzen dann miteinander gekreuzt, wodurch Hybridsamen entstehen.

Samenfestes Saatgut gewinnen Gärtnerinnen und Gärtner aus den Samen reifer Pflanzen. Es wird auch als nachbaufähig bezeichnet, weil die aus diesem Saatgut gewachsenen Pflanzen wiederum fruchtbare Samen hervorbringen, die für den Anbau im nächsten Gartenjahr verwendet werden können. Im Gegensatz zu F1-Hybriden bringen samenfeste Sorten über Generationen hinweg Pflanzen mit ähnlichen Eigenschaften und gleichbleibendem Ertrag hervor.

Texte aus der Ausgabe März 2024 der Zeitschrift info3

Über den Autor / die Autorin

Renée Herrnkind