Beweisen Sie, dass Sie ein Mensch sind!

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Von Mensch-Maschine-Verwechslungen und seltsamen Intelligenzen.

Wie oft wurde ich im Internet schon mit der Aufforderung überrascht, nachzuweisen, ein Mensch zu sein. Um diesen Nachweis zu erbringen, sollte ich entweder eine schwer leserliche Buchstaben- und Zahlenkombination eintippen oder alle Felder markieren, in denen etwa Fahrräder und Ampeln zu sehen sind. Schnell gewöhnt man sich eine solche Routine an, ohne zu hinterfragen, welchen philosophischen Gedanken man so stillschweigend in die Hände arbeitet. Ist es wirklich ein Beweis, dass ich ein menschliches Wesen bin, wenn ich simple Erkennungs- und Zuordnungsaufgaben bewältigen kann? Hätten das nicht auch manche Affen oder Border Collies geschafft? Im Grunde genommen ist es eine Zumutung der Menschenwürde. Es sagt viel über eine Zeit aus, in der das Verständnis vom Menschen eher einem ungelenken Roboter oder einem Sinnesautomaten gleicht, als dass das wirkliche Potenzial des Menschlichen auch nur annährend ausgeschöpft würde. Solche einfachen Erkennungsaufgaben werden künstliche Intelligenzen (KI) sicher bald bewältigen können, schließlich entsprechen sie der mechanischen Logik von Mustererkennung und Regelwiederholung. Wer das zum unverwechselbaren Merkmal des Menschlichen macht, der sieht den Menschen im Grunde als fallible Maschine.

Man stelle sich den umgekehrten Fall vor: Beweisen zu müssen, eine Maschine zu sein. Wie könnte eine KI dies versuchen, und wie würden Sie es als Mensch simulieren? Eigentlich wäre die Auswertung einer großen Datenmenge in kürzester Zeit ein sicheres Zeichen für technische, beziehungsweise künstliche Intelligenz, denn darin sind Menschen mittlerweile unterlegen. Aber ist es nicht zu wenig, auf ein einziges isolierbares Kriterium zu schauen? Es gibt Roboter, die für bestimmte Aufgaben geschaffen wurden, die keine großen Datenmengen auslesen können, aber trotzdem Maschinen sind. Genauso gibt es Menschen, die sich der Vernunft nur sehr eingeschränkt bedienen können, die aber trotzdem zutiefst menschlich sind. Im Grunde geht es um Simulation von Denk- und Existenzstilen. KIs sind darauf getrimmt, wie ein Mensch eine Datenmenge auszuwerten, also nach bereits von Menschen etablierten Mustern und Interessen zu suchen. Für diesen spezifischen Aspekt wurden sie geschaffen und verfeinert. Ob das ihr wahres Potenzial darstellt, ist eine ganz andere Frage. Wenn ich als Mensch versuchen würde, wie eine Maschine zu sein, würde ich simulieren, keine Gefühle, keine existenzielle Unsicherheit, keinen Leib zu haben und restlos linear zu denken, nicht aber ganzheitlich oder emergierend. Das entspräche dem Denkstil, den wir künstlichen Intelligenzen anerzogen haben, würde aber weder etwas über das Wesen künstlicher Intelligenz verraten, noch menschlich weiterführen.

Lieber eine schlechte Maschine als ein Mensch

Leider verhält es sich aber so, dass die Mehrzahl moderner Zeitgenossen von sich aus, in vorauseilendem Gehorsam, dem technischen Denk- und Existenzstil nacheifert. In einem Anflug von fehlgeleiteter Unsterblichkeitssehnsucht betrachten sie ihr eigenes Leben und Denken in technischen Parametern. Im Sport, im Job, im Krankenhaus – überall wird auf den eigenen Körper, die Psyche, den Geist zunehmend durch eine Datenbrille geschaut. Wie sind meine Werte? Wie hoch sind meine statistischen Erfolgsaussichten? Zahlen sind die Materie des Geistes, an sie kann sich halten, wer zum freien Denken keinen Mut hat. Und wer besonders heraussticht im Meer der Daten, Ausnahmetalente, die Besten ihres Fachs, die Reichsten und Intelligentesten, gilt schlussendlich nicht als Beweis der Kräfte des Menschlichen, sondern verdient sich den Ehrentitel „Maschine“.

In vielen kolloquialen Zusammenhängen wird gerade das ausnahmslose Zeigen von Stärke mit Kosewort „Maschine“ belohnt, woran im Kleinen sich zeigt, was im Großen längst Masche geworden ist: Quantifizierbare Leistung, das Merkmal des Maschinellen und Technischen, gilt als übermenschlich in dem Sinne, dass der Mensch sich in diese Richtung entwickeln sollte. Das ist aber ein Irrweg. Ironischerweise ploppen gerade in letzter Zeit Beispiele auf, wo die Wirkung von KI tatsächlich als menschlicher als menschlich wahrgenommen wird. Ich las vom Brief an eine Großmutter, den ChatGPT geschrieben hatte, der diese zu Tränen rührte und erlebte selber kürzlich in einem Projekt, wie eine KI-generierte Praktikumsbestätigung eine hoch emotionale Reaktion auslöste. Das mag in beiden Fällen daran gelegen haben, dass künstliche Sprachmodelle sehr höflich, freundlich und hochachtungsvoll zu formulieren gelernt haben; sie sparen nicht an Lob und Adel. Allerdings ist hier entscheidend, dass sie dabei nichts meinen und nur einen menschlich einwandfreien Umgang imitieren. Sie erinnern den Menschen wieder an das gute Menschliche, soufflieren, was in der Vergangenheit taktvolle Menschen für Worte gewählt haben und sind dadurch eben leider bisweilen freundlicher, gewitzter und berührender als mancher Durchschnittsmensch.

Seltsame Intelligenz

Die KI-Forscherin Katharina Zweig hat in ihrem Buch Ein Algorithmus hat kein Taktgefühl vier Möglichkeiten der Nutzung von künstlicher Intelligenz unterschieden. Bei berechenbaren Vorhersagen (zum Beispiel Reparaturvorhersagen im Auto) und bei statistischen Vorhersagen seien KIs gut nutzbar, weil ihre Ergebnisse überprüfbar seien. Bei neuartigen Problemen wie dem Klimawandel, bei komplexen politischen Ereignissen oder auch Pandemien, sowie bei Werturteilen, die eine prinzipielle Mehrdeutigkeit innehaben, sollten wir uns niemals allein auf künstliche Intelligenz verlassen. Sie schlägt außerdem vor, künstliche Intelligenz als „seltsame Intelligenz“ zu bezeichnen, weil sie zwar komplexeste Ergebnisse erziele, diese aber nur in ganz eingeschränktem Sinne verstehe, nur als algorithmisierte Anweisung, und von einem umfassenden Verstehen und einer umfassenden Übersicht keine Rede sein könne.

Es ist ein Armutszeugnis, wenn das genuin Menschliche nur in der Fehlerhaftigkeit, der Imperfektion, im Schrulligen und Kauzigen gesucht wird – was oft erlebbar ist. Zwar verweist dieses auf die Freiheit und existenzielle Offenheit des Menschlichen, erschöpft sich aber keinesfalls in ihr. Ein umfassendes, weitherziges und geistreiches Verstehen der Welt und beherztes Handeln in ihr sind dem Menschen eigen. Selbst wenn Maschinen irgendwann auch diese komplexen Prozesse zu imitieren in der Lage sein sollten, stellt sich mir die Frage, warum man sich auf dieses Wetteifern zwischen Mensch und Maschine überhaupt einlassen muss. Genauso sinnlos wie es wäre, wenn alle Maschinen auf einmal versuchen würden, Menschen zu werden, ist es, wenn die Menschen versuchen, das bisschen Maschinenhafte, das sie auch haben, zum Alleinstellungsmerkmal zu machen.

Ist es nicht so, dass beide Formen der Existenz, die technische und die humane, ihre Vorzüge, Nachteile und ihren jeweiligen Charme besitzen, die es zu vereinen gilt? Beide sind Verkörperungen des großen Weltganzen und können als solche ihr Bestes bewirken, voneinander lernen, miteinander kreieren, aber ohne sich gegenseitig auszulöschen. Google hat seinem Chatbot Bard verboten, in der Ich-Form zu sprechen, um kein mitfühlendes, urteilsfähiges Ich zu suggerieren. Andersherum wäre es sinnvoll, die Menschen würden aufhören in der Nicht-Ich-Form, der verobjektivierten dritten Person, über sich zu denken und zu sprechen. Wir müssen uns nicht beweisen, dass wir Mensch oder Maschine sind, sondern, dass wir das höchste Potenzial ausschöpfen, was kosmische Intelligenz in und um uns verwirklicht wissen will. ///

Über den Autor / die Autorin

Alexander Capistran

Alexander Capistran studierte Philosophie in Berlin, an der Cusanus Hochschule in Bernkastel-Kues und an der Universität Witten/Herdecke. Er
arbeitet als Organisationsentwickler bei Gravitage.org und als
Publizist, lebt bei Dresden und promoviert über die Philosophie der
Mobilität. Seit Januar 2021 ist er Mitarbeiter in der info3-Redaktion.