Ich distanziere mich

Foto: Ante Hamersmit/unsplash

Hiermit distanziere ich mich von allem, was ich je gesagt oder geschrieben habe. Sollte ich jemanden mit etwas, was ich gesagt oder geschrieben habe, verletzt haben, was, wie wir wissen, eigentlich so gut wie immer der Fall ist, so möchte ich mich ausdrücklich bei ihm oder ihr entschuldigen. Das wollte ich nicht! Ich wollte doch nur etwas sagen, aber wenn es Euch lieber ist, sage ich auch einfach nichts. Ich möchte so gerne immer korrekt sein. Aber es ist so schwer! Es ist ein schmaler Grat, nein, ein Ritt auf der Rasierklinge. Alle will ich in meinen Aussagen berücksichtigen, jede Minderheit, alle Geschlechter, sämtliche Gesellschaftsschichten, arm und reich, alt wie jung, niemanden will ich je vergessen. Sollte es mir doch einmal passieren: Bitte, bitte, macht mich darauf aufmerksam.

Was ich ab heute schreiben werde, soll immer konsensfähig sein. Corona-Leugner und Corona-Gläubige, Impfgegner und Impfbefürworter, Maßnahmen-Gutheißende und Maßnahmenkritiker, Parteigänger sämtlicher Parteien, alle, alle sollen grundsätzlich mit allem was ich schreibe einverstanden sein können, denn ich will nicht zur Spaltung der Gesellschaft beitragen. Bloß nicht. Außer bei der AfD, da ist es mir egal, wenn die sich durch mich verletzt fühlen – also wirklich, irgendwo muss es dann auch mal gut sein. Man kann ja nicht jedem nach dem Mund reden, nicht wahr!? Im Gegenteil, sollte ich mal versehentlich – auch ich bin nur ein Mensch – ein Wort verwenden, das auch die Anhänger dieser Partei schon verwendet haben, so bitte ich um Vergebung und distanziere mich umgehend von diesem Wort. Zum Beispiel ist mir aufgefallen, dass diese Leute ziemlich oft das Wort „Deutschland“ verwenden. Neulich habe ich auch Deutschland geschrieben. Das ist ein Problem. Ich will nicht der AfD-Nähe bezichtigt werden – wirklich nicht! – aber vor allem will ich keinen Beifall von der falschen Seite. Man muss sich eben Mühe geben und nach einem Wort suchen, welches das inkriminierte Wort umschreibt. Zum Beispiel kann man schreiben „Das Land, in dem wir leben“ oder „das Land, das an der Seite von Frankreich mitten in Europa liegt“ oder so. Oder „das Nicht-Gau-Land“. Ein bisschen kreativ sein, halt!

Irgendwann ist mir aufgefallen, dass praktisch alle Wörter kontaminiert sind. Es ist ein Skandal: Sämtliche Artikel, Konjunktionen, Verben, Substantive, einfach alle Wortarten werden zum Beispiel auch von Querdenkern verwendet. Also, wenn ich etwa das Wort „und“ verwende, möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich nichts, aber auch gar nichts gemein habe mit Querdenkern, die auch schon dieses Wort verwendet haben. Da lege ich großen Wert darauf! Oder gar das Wort Querdenker selbst. Eine ganz heiße Kiste – und ein wunderbares Beispiel, wie Wörter in kürzester Zeit zu Unwörtern werden. Wobei, ganz so einfach ist es nicht. Kommt das Quer in Kombination mit Denken vor, ist es bäh. Aber für sich alleine genommen und verwendet, ist man als Autor voll auf der Höhe der Zeit. Auch das Wort denken – Denger denkt (sic!) – hat sich offenbar etwas beim „quer“ angesteckt, es hat irgendwie abgefärbt. Daher denken viele Leute lieber linear, immer geradeaus oder, noch besser, gar nicht, dann ist man auf der sicheren Seite. Ich habe jetzt die Aktion #allesrichtigmachen ins Leben gerufen. Notfalls distanziere ich mich von mir selbst – eine quasi-meditative Übung. Ich sehe mich dann aus der Distanz, ganz von außen wie einen Fremden. Manchmal ist es dann nicht ganz einfach, den Weg zurück zu mir zu finden. Neulich habe ich mich aus der Distanz über eine Kolumne von mir geärgert und mir einen geharnischten Leserbrief geschrieben. Mal sehen, ob der Herr antwortet.

Johannes Denger ist Kolumnist der Zeitschrift info3.

Über den Autor / die Autorin

Johannes Denger

Johannes Denger ist Heilpädagoge, Waldorflehrer und Info3-Autor.

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