Huhn sein ist okay

Hatzius und das Huhn/Foto Youtube

Ironie, Satire und tiefere Bedeutung haben mir im Leben schon über manchen realsatirischen Irrsinn hinweggeholfen. Sie sind notwendiges Korrektiv für den jeweiligen kollektiven Mainstream, zum Schwimmen gegen den Strom der vermeintlich einzigen Wahrheit. Sie halfen mir sowohl als Konsument von Kabarett und Comedy als auch in bescheidenem Maße selbst kabarettistisch und satirisch Produzierenden über viele Jahre hinweg nicht zu verzweifeln, sondern an Leib und Seele einigermaßen gesund zu bleiben.

In der Pandemie war jetzt alles anders. Sie wurde für viele Kabarettisten und Comedians, ja für ganze Sendungsformate zum Offenbarungseid. Im besten Fall langweilig und witzlos, als dürfe man nicht mehr ironisch-kritisch sein, „wenn es ernst wird“, leider oft mit agogischem Hof-Humor die Maßnahmen der Politik unterstützend. Es ist ein weiterer, wirklich bedauernswerter Kollateralschaden dieser Zeit. Aber – Gottseidank! – es gab und gibt Lichtblicke. Als begeisterter Fan bin ich dem Puppenspieler Michael Hatzius zutiefst dankbar für seine großartigen, witzigen, hintersinnigen Beiträge. Echse, Schweine, Möhre, Zecke, Huhn und das ganze Hatzius’sche Bestiarium wurden mir zu lieben Begleitern in der Not. Es begann für mich mit der Bade-Enten-Nummer. Merkel, Spahn, Lauterbach, Söder – das ganze deutsche pandemische Personal trat auf in Form eines Quietsche-Entchen-Panikorchesters, von der berühmten Echse bespielt, die ihrerseits von Michael Hatzius belebt wird. Wie zentaurische siamesische Zwillinge teilen sich die beiden den Unterleib, während die Echse, vom Puppenspieler geführt, oberhalb der Gürtellinie den Ton angibt. Irgendwann verbreitet dann eine Ente die Verschwörungstheorie, dass sie alle womöglich von einer großen Echse gelenkt würden …

Wunderbar auch die Beiträge vom großen, dicken Rosa-Hausschwein Steffi („Ich hab‘ auch nur ein Nervenkostüm!“) und ihrem kleinen Lebenspartner Thorsten, dem braunen Keiler, einer Wildsau mit Grunz-Sprachfehler („Ich bin kein alter weißer Mann, ich bin ein kleines braunes Schwein“). Ganz wichtig waren auch die jeweiligen Updates von der Möhre, der Sicherheitsbeauftragten, die durchgängig misanthropisch schlecht gelaunt beklagt, dass man die Krise natürlich nie in den Griff bekommt, wenn die Leute nicht endlich das machen, was von ihnen verlangt wird.

Inzwischen treten sie auch regelmäßig in der Sendung „Mitternachtsspitzen“ auf. Seit neuestem gibt es einen Stammtisch, an dem die Echse alle versammelt, um mit ihnen die Fragen der ratsuchenden Zuschauer zu diskutieren. Überraschenderweise scheinen sich die Puppen von ihrem Schöpfer emanzipiert zu haben und agieren jetzt ganz selbstständig, während ihr Schöpfer an der Bar im Hintergrund die Gläser spült. Man muss sich die Videos unbedingt anschauen!

Michael Hatzius ist ein begnadeter, vielfach ausgezeichneter Puppenspieler. Seine Figuren sind hoch künstlerisch gestaltet. Die über alles und jeden Bescheid wissende Echse als welterklärender dominanter Stammtischbruder schlechthin, die selbstgefällige Steffi und der unsichere Thorsten, die turmschädlige Möhre mit den tiefhängenden Mundwinkeln, die alarmistische Zecke, das verzagte kleinköpfige Huhn, das mit seinen begrenzten Möglichkeiten geradezu rührend versucht, die Welt zu verstehen und seinen Platz in ihr zu finden: „Huhn sein ist okay.“ Sie alle zeigen sich als herausgesetzte, ins Bild gebrachte menschliche Seeleneigenschaften, vom zurückhaltend selbst- und eigenschaftslosen Puppenspieler erschaffen, dem modernen Gott dieses Pandämoniums. Man ahnt: Alle zusammen sind sie irgendwie ein Mensch. Michael Hatzius sein ist schwer okay, finde ich. ///

Ein Text aus der Juliausgabe der Zeitschrift info3. Hier das Einzelheft bestellen, indem es um Hühner und andere Tiere in der Landwirtschaft geht.

Über den Autor / die Autorin

Johannes Denger

Johannes Denger ist Heilpädagoge, Waldorflehrer und Info3-Autor.