Zwischen allen Stühlen: die Landwirte

Bauernprotest in Leipzig / Creative Commons

Die Bauernproteste zählen zu den größten Demonstrationen in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik. Der Unmut in der Landwirtschaft ist enorm. In unserem Gastbeitrag skizziert der Vorstand von Demeter Deutschland die kritische Lage der Landwirte und weist auf greifbare Lösungen hin.

Von Alexander Gerber

Die Arbeit der Bäuerinnen und Bauern ist unsere Grundlage: sie produzieren die Nahrungsmittel, die wir zum Leben brauchen. Doch von den Preisen, die sie für ihre Produkte erhalten, können sie selbst nicht leben. Ohne staatliche Subventionen kann heute kein landwirtschaftlicher Betrieb überleben. Fast 50 Prozent der betrieblichen Erträge machen die Gelder vom Staat im Schnitt aus.

Landwirtschaft soll wie jedes andere Gewerbe in einem mehr und mehr liberalisierten Weltmarkt funktionieren. Industrie und Dienstleister müssen im Kapitalismus wachsen, um die Inflation abzufedern und wettbewerbsfähig zu bleiben. In der Landwirtschaft sind dem Wachstum jedoch Grenzen gesetzt, weil die landwirtschaftliche Nutzfläche begrenzt ist. Und weil Intensivieren und Rationalisieren zu einer unethischen Tierhaltung und massiven Umweltbelastungen führt.

Aufgrund der Produktionsbedingungen wie Klima, Böden oder Struktur der Höfe und ihrer Flächen, vor allem aber aufgrund von Arbeitskosten und Umweltauflagen ist die europäische Landwirtschaft auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig. Um diese Wettbewerbsnachteile auszugleichen, werden die landwirtschaftlichen Betriebe in der EU so stark subventioniert. Zunächst war es eine produktbezogene Förderung, was zu massiver Überproduktion und Preisverfall geführt hat. Seitdem erfolgt die Förderung im Wesentlichen flächenbezogen, wovon dann wiederum große Betriebe überproportional profitieren, da diese kostengünstiger produzieren. Das und der massive Intensivierungs- und Rationalisierungsdruck führen dazu, dass die kleinen Betriebe aufgeben und die großen weiterwachsen. Innerhalb von 15 Jahren haben in der EU mehr als fünf Millionen beziehungsweise fast 40 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe ihre Hoftore für immer geschlossen.

Der größere Rahmen

Und mittendrin stehen die Landwirte: sie sind die kapitalintensivste Branche, während die landwirtschaftlichen Einkommen deutlich unter dem Durchschnittseinkommen liegen – und die Schere geht stetig weiter auf. Mit der konventionellen (Massen-)Tierhaltung und dem Einsatz von Pestiziden stehen Landwirte als Berufsgruppe in der Kritik. Gleichzeitig steigt der bürokratische Aufwand für Dokumentation und Anträge. Dahinter stehen sich stetig verändernde und immer komplexer werdende politische Rahmenbedingungen und gesetzliche Vorgaben.

In dieser Situation der Unsicherheit, Ohnmacht und des wirtschaftlichen Drucks hat der Beschluss der Bundesregierung, die Agrardieselbeihilfen und die KFZ-Steuerbefreiung zu streichen, das Fass des Aushaltens zum Überlaufen gebracht. Die Kürzung der Beihilfen würden je nach Betrieb zwischen 3.000 und 15.000 Euro weniger Betriebseinkommen ausmachen – bei sehr großen Betrieben fällt diese Summe auch noch höher aus. Das würde zwar keinen Betrieb zum Aufgeben zwingen, ist bei einem ohnehin niedrigen Einkommensniveau für etliche Betriebe aber ein deutlich bemerkbarer Einkommensverlust. Nach dem massiven Protest hat die Bundesregierung die Streichung der KFZ-Steuerbefreiung zurückgenommen und die Agrardieselbeihilfe wird nur schrittweise zurückgefahren. Dennoch haben die Bauern weiter demonstriert. Warum?

Weil diese Kürzungen eben nur der Ausdruck eines größeren Problems sind: der geschilderten Perspektivlosigkeit, der sich die Bauern durch eine sprunghafte, wenig verlässliche Politik ausgesetzt sehen, und der Politik einer Bundesregierung, die für die Landwirtschaft kein klares Zielbild hat, die bei Einzelmaßnahmen zerstritten ist und dann wenig durchdachte ad hoc-Entscheidungen trifft.

Natürlich macht es grundsätzlich Sinn, umwelt- und klimaschädliche Subventionen zu kürzen. Aber so kurzfristig, und vor allem ohne dass es einen Effekt hätte, eben nicht. Denn die Traktoren müssen genauso wie bislang weiterfahren, da es noch keine praxisreifen alternativen Antriebskonzepte gibt. Eine sinnvolle Maßnahme, die auch Innovationsdruck auslöst, ist eine schrittweise Anhebung der CO2-Steuer.

Zukunft auf dem Weg

Eigentlich sind wir auch schon viel weiter. In einem so unvergleichlichen wie beispielgebenden Prozess hat die Zukunftskommission Landwirtschaft, die noch von Bundeskanzlerin Merkel eingesetzt wurde, einen breiten Konsens darüber erzielt, dass sich die Landwirtschaft grundlegend und schnell transformieren muss. Dabei gehören der Zukunftskommission konventionelle und Bio-Landwirtschaftsverbände ebenso an wie Umweltverbände, Verbände der Wirtschaft und Vertreter:innen der Wissenschaft sowie Jugendverbände der Branche. Einen bereits sehr konkreten Vorschlag zum Umbau der Tierhaltung hat die ebenfalls breit zusammengesetzte „Borchert“-Kommission erarbeitet. Für eine Neuausrichtung der Agrarpolitik liegt ein sehr guter Vorschlag des Dachverbandes der Biobranche, des BÖLW, vor.

Der Unmut der Bäuerinnen und Bauern könnte eingefangen werden, wenn die Politik jetzt in einem weiteren Konsultationsprozess mit der Zivilgesellschaft eine Strategie dazu erarbeiten würde, wie diese Vorschläge Schritt für Schritt in die Praxis umgesetzt werden könnten. Die Politik müsste diese Strategie dann mit Ressourcen und einem verlässlichen Zeitplan ausstatten. Ein solches Vorgehen hätte dann mit Sicherheit noch den sehr erwünschten Nebeneffekt, dass die rechtsradikalen oder umstürzlerischen Stimmen in der Bauernschaft zum Verstummen gebracht würden.

Die ganze Auseinandersetzung weist aber auf eine noch sehr viel grundlegendere Frage hin. Landwirtschaft ist vom Charakter her etwas gänzlich anderes als ein industrieller Prozess. Sie baut mit Hilfe der Sonne Materie und Energie auf. Im industriellen Produktionsprozess wird hingegen Energie verbraucht, um Materie ab- oder umzubauen. Ich habe oben dargelegt, dass die zur Verfügung stehende Fläche sowie eine Ethik der Tierhaltung und des Umwelt- und Naturschutzes einem immer weiteren Wachstum beziehungsweise der Intensivierung und Rationalisierung in der Landwirtschaft entgegenstehen. Dem versuchen wir mit dem ökologischen Landbau, insbesondere mit der Demeter-Landwirtschaft, Rechnung zu tragen, indem wir den Betrieb als weitgehend in sich geschlossenen Betriebsorganismus verstehen und gestalten. Da die Erde als ganze aber ebenso begrenzt ist, müssten wir sie ebenso als einen in sich ausbalancierten Organismus ansehen, auf dem kein unendliches Wachstum möglich ist. Konsequent zu Ende gedacht bedeutet dies, dass wir dann aber auch die gesamte Wirtschaft so umgestalten müssten, dass wir sie damit aus der Wachstums- und Rationalisierungsfalle befreiten. Dafür braucht es dann eine Art wirtschaftliches Gleichgewicht innerhalb der planetaren Grenzen unseres Organismus Erde. ///

Dr. Alexander Gerber studierte nach einer landwirtschaftlichen Lehre auf einem Demeter-Betrieb an der Universität Hohenheim Agrarwissenschaften und promovierte am Institut für Sozialwissenschaften des Agrarbereichs. Seit 1998 ist er bei verschiedenen Initiativen für die ökologische Landwirtschaft engagiert, beispielsweise als Pionier für die methodische Entwicklung der transdisziplinären Umweltforschung oder im Aufbau des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Seit 2013 ist er hauptamtlicher Vorstand von Demeter Deutschland und seit 2014 Vizepräsident von Demeter International.

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