Caring-Economy: Warum dominanzgeprägte Systeme nicht überleben können

Wirtschaft, so die Kulturhistorikerin Riane Eisler in ihrem 2020 in deutscher Übersetzung erschienenen Grundlagenwerk Die verkannten Grundlagen der Ökonomie (engl. The Real Wealth of Nations, 2007), drehe sich nicht um Waren, Güter und Konsum, sondern um Menschen, Beziehungen und Bedürfnisse: Fürsorge ist Grundlage für das Zusammenleben in allen Bereichen der Gesellschaft. Im Mittelpunkt: Der private Haushalt als kleinste Fürsorgeeinheit.

„Wir brauchen ein System, das unseren Bedürfnissen und Fähigkeiten gerecht wird, statt sie auszunutzen, das unsere Mitwelt bewahrt, statt sie zu zerstören, und das unser großartiges Potenzial an Fürsorge und Kreativität zur Entfaltung bringt, statt es einzuschränken“, schreibt Riane Eisler. Für unser aller Überleben und Wohlergehen ist es unerlässlich, Fürsorge und Care-Arbeit in unser Leben, Arbeiten und Wirtschaften zu integrieren – sie ist die Grundlage für eine nachhaltige Zukunft und gerechte Ökonomie. In ihrem Buch beleuchtet Eisler verschiedene Bereiche des Wirtschaftslebens unter diesem Blickwinkel: Marktwirtschaft, Staatswirtschaft, Schattenwirtschaft, Ressourcenwirtschaft sowie den Non-Profit-Bereich.

Ohne Care-Arbeit kann kein Kind überleben, kein Haushalt bestehen, keine Wirtschaft funktionieren, kein Mensch krank sein und gesunden, altern und würdevoll sterben. Fürsorge ist die Grundlage unseres Zusammenlebens. Und dennoch sind Gesellschaftssysteme im Großen wie im Kleinen häufig von hierarchischen Strukturen geprägt, die Care-Arbeit abwerten, jene, die sie leisten, ausgrenzen, schlecht oder gar nicht entlohnen und einen solidarischen Umgang mit Ressourcen verhindern. Das zeigt sich etwa daran, dass auch in westlichen Industrienationen Familien mit einem weiblichen Haushaltsvorstand einem hohen Armutsrisiko ausgesetzt sind.

Diese Strukturen zu ändern sei jederzeit und überall möglich, so Eisler. Da alle Lebensbereiche zusammenhängen, habe jeder Impuls und jede Änderung eine Auswirkung an einer anderen Stelle: Wenn die Aufgaben in Haushalt und Kindererziehung gerecht verteilt sind, können nicht nur Väter, sondern auch Mütter eine Grippe auskurieren und auf Dauer leistungsfähiger bleiben. Wenn Mädchen in Indien nicht mehr unterernährt sind, wird auch die Lebensgrundlage für die folgende Generation von Jungen gestärkt. Care-Arbeit auszugrenzen oder als „Frauengedöns“ zu diffamieren, ist ein mentaler Kurzschluss. Angesichts kollabierender Ökosysteme, weltumfassender Migrationsbewegungen und grassierender Pandemien ist es an der Zeit, die blinden Flecken tradierter Dominanzstrukturen aufzudecken.

Interessant ist ihr Blick auf die Funktion von Hierarchien. Eisler unterscheidet zwischen dominanzgeprägten und funktionellen Hierarchien. Dominanz basiere auf einem Mangel an Empathie und etabliere sich über Unterwerfung, Paternalismus, Angst und Zwang. Funktionelle Hierarchien hingegen können die Umsetzung von Fürsorge begünstigen, während die Ablehnung von Hierarchien wiederum zu einem Konformitätszwang führe, der seinerseits jene partnerschaftliche Entwicklung verhindert, aus der das gute Leben für alle erwachsen kann. Ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie kann man ihr mit Blick auf Gelingen und Misslingen der Eindämmung der Krankheit nur recht geben.

Red./jh

Riane Tennenhaus Eisler: Die verkannten Grundlagen der Ökonomie. Wege zu einer Caring Economy. Büchner Verlag, Marburg 2020, Gebunden, 240 Seiten, € 22,00

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