April 2018 Zeitschrift Info3

Ostern: Eine Hasensache

Silke Kirch: Eine Hasensache - Info3, April 2018. Foto: © drubig-photo, Fotolia.com
Silke Kirch: Eine Hasensache - Info3, April 2018. Foto: © drubig-photo, Fotolia.com

Als Kind ahnte ich die geheime Verwandlungskraft der Kunst, das Osterwunder, das Geheimnis der Hasensache. – Eine Geschichte zu Ostern.

In meiner Kindheit besuchten wir an Ostern jedes Jahr die Großeltern in Ostdeutschland. Hinter ihrem Haus im Garten gab es einen Hasenstall. Die Hasen waren für die kleinen Käfige zu groß, dennoch durften wir sie nicht aus ihrem engen Gehäuse befreien, um mit ihnen im Garten zu spielen. Diese Hasen waren für etwas bestimmt, dessen Kenntnis sich uns entzog, und die Großeltern verteidigten dies wortkarg.

Lange Zeit hat sich mir nicht erschlossen, wofür so ein Hasenleben gut sein sollte. Waren die Hasen nicht für die Kinder da? Um gehalten und gestreichelt zu werden? Lebendige Hasen! Über dem Kopf meines Bettes im westdeutschen Kinderzimmer hing eine Kopie von Albrecht Dürers „Hase“, das lebensnahe Abbild eines Hasen, das damals zum festen Inventar vieler Haushalte gehörte. Ohne natürliches Lebensumfeld hockt Dürers Hase isoliert auf der Bildfläche: Ein zweifellos bedeutsames, wenngleich auch etwas unheimliches Tier. Als Kind beeindruckte mich zudem das rätselhafte „A“, das mit breiten Dachbalken ein kleineres „D“ schützend überstand und auf etwas Wichtiges hinzuweisen schien. Dürers Feldhase behauptete wie der Stallhase meiner Großmutter unerschütterlich eine eigene, unabhängige Realität, die mir unzugänglich blieb.

Gerade deshalb wohl war es für mich als Kind auf der Gefühlsebene nachvollziehbar, dass Hasen mit Ostern zu tun hatten: Hasen kamen von irgendwoher und gingen irgendwohin. Ihre Existenz war unergründlich, ihr Vorhandensein geheimnisvoll. Sie waren vital, unabhängig und bedeutsam, zugleich aber gefangen, isoliert und rätselhaft. Sie waren der bildhafte wie lebendige Ausdruck von Jenseits wie Diesseits sowie der Sehnsucht nach Erlösung.

In meiner Kindheit gab es glücklicherweise nicht allein Kunst von Dürer, sondern auch Besuche im Hessischen Landesmuseum Darmstadt. Dort gab es den Beuys-Block. Dieses Sammelsurium in Vitrinen, zu dem auch ein „Erdtelefon“ gehörte, interessierte mich als Kind sehr. Meine vom Hasen AD inspirierte kindlich-künstlerische Phantasie imaginierte das Erdtelefon als Bewohner eines Kaninchenbaus – die lange gewundene Telefonschnur mit seinen weitverzweigten Gängen assoziiert. So war es auch nur plausibel, dass Beuys einen Hasen ins Spiel brachte, um Kunst zugänglich zu machen. Als Kind ahnte ich die geheime Verwandlungskraft der Kunst, das Osterwunder, das Geheimnis der Hasensache. Es war – ohne dass ich das hätte benennen können – so transzendental wie irdisch, so avantgardistisch wie banal, so symbolisch wie physisch. Es kommunizierte beides einander. Ein Hasengang durch das dichte Schweigen im Wohnzimmer meiner deutsch-deutschen Familie. Von Jahr zu Jahr.

Über den Autor / die Autorin

Silke Kirch

Dr. Silke Kirch ist promovierte Geisteswissenschaftlerin, Lebens- und Sozialkünstlerin und lebt in Frankfurt am Main.

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