Magen und Darm, Farne und Weiden

Tüpfelfarn. Foto: Frank Meyer

Wie Magen- und Darmerkrankungen in der Anthroposophischen Medizin behandelt werden können.

Von Frank Meyer und Michael Straub

Während das Nerven- und Sinnessystem dem Austausch von Informationen zugrunde liegt und das Herz-Lungen-System dem Austausch und Transport von Atemgasen dient, werden im Magen- und Darm-Trakt feste und flüssige Stoffe aufgenommen, verdaut, teilweise umgewandelt und auch wieder ausgeschieden. Die Verdauungsorgane sind damit auf ihre Weise Bindeglieder zwischen Innen und Außen, Selbst und Fremd, Abwehr und Toleranz. Ihre Gesundheit ist entscheidend für die Versorgung des Organismus mit Substanzbausteinen und Energie sowie für die Abwehr von Krankheitserregern. Bei vielen Erkrankungen ist daher die Magen- und Darmgesundheit mit zu berücksichtigen und zu behandeln, sei es durch Ernährungsmaßnahmen (Diät), Medikamente oder äußere Anwendungen. Eine ganzheitliche Therapie dieses Systems hat meistens die Wiederherstellung einer intakten Abgrenzungsfunktion und des Gleichgewichts von Aufnahme- und Ausscheidungsvorgängen auf der physischen sowie auf der geistig-seelischen Ebene zum Ziel.

In der Anthroposophischen Medizin werden unterschiedliche Substanzen, vor allem pflanzlicher und mineralischer Herkunft, zur Behandlung von Magen-Darm-Störungen verwendet. Dabei handelt es sich zum Teil um altbekannte Heilpflanzenzubereitungen zum Beispiel des Gelben Enzians, aber auch um immer noch viel zu wenig bekannte Neuentdeckungen, wie das aus Blättern von verschiedenen Farn- und Weidenarten hergestellte Magen-Darm-Therapeutikum Digestodoron, das 1921 von Rudolf Steiner konzipiert wurde (und damit zu den anthroposophischen Arzneimitteln der ersten Stunde gehört). Digestodoron (von Weleda) und verwandte Arzneimittel werden als Basismittel bei vielen Magen-Darm-Erkrankungen zur Unterstützung der Verdauungsrhythmik und zur Regulierung des Darm-Milieus eingesetzt. Man kann es in Form von Tropfen oder Tabletten einnehmen; außerdem gibt es von Wala verwandte Mittel als Globuli und sogar als Ampullen zum Spritzen.

Wie viele typische anthroposophische Arzneimittel ist Digestodoron aus recht gegensätzlichen Pflanzen komponiert, welche die Polarität der Lebensvorgänge abbilden. In diesem Falle sind es die Abbau- und Aufbauprozesse im Verdauungssystem, die bei vielen Funktionsstörungen wie dem sogenannten Reizdarm, aber auch im Vorfeld und im weiteren Verlauf von Krebs und entzündlichen Magen- und Darmerkrankungen aus dem Gleichgewicht geraten sind.

Die Polarität von Farnen und Weiden

Farne sind zumeist Schatten- oder Halbschattenpflanzen, deren Vermehrung mittels Sporen im wässrigen oder erdig-feuchten Milieu stattfindet. Wir befinden uns also in einem dunklen, feuchten und hochgradig von Verrottungs- und Vermoderungsprozessen geprägten Umfeld – ähnlich, wie wir es auch in den Feuchtgebieten des Darms finden.

Hinweise auf die Heilkraft der Farne finden sich bereits bei der Betrachtung ihrer rhythmischen Gestalt. Die im Digestodoron verwendeten Farnarten Hirschzunge, Tüpfelfarn und Wurmfarn sind in unterschiedlichen Graden gegliedert. Dadurch wirken ihre Blätter schwerpunktmäßig auf verschiedene Abschnitte des Magen-Darm-Traktes, denen sie entsprechen:

• Das glattrandige, leicht wellige Blatt der Hirschzunge (Asplenium scolopendrium) entspricht dem glatten, leicht gewellten Dickdarm.

• Der mehrfach gefiederte Wedel des Wurmfarns (Dryopteris filix­mas) weist starke Gemeinsamkeiten mit den Zottenstrukturen im Dünndarm auf.

• Das einfach gefiederte Blatt des Tüpfelfarns (Polypodium vulgare) entspricht den Magenschleimhautfalten.

Im Verdauungssystem nehmen die Farne ähnliche Aufgaben wahr wie in der äußeren Natur. Sie helfen, das feuchte, humusreiche, erdige Milieu, in dem sie zu Hause sind, gesund zu erhalten. Im Wald geschieht das dadurch, dass sie organisches Material (zum Beispiel vermodernde Baumstämme) abbauen, das ansonsten verfaulen oder von Pilzen besiedelt würde. Im Darm unterstützen Farne ebenfalls die abbauenden Verdauungsprozesse, schützen vor Fremdbesiedelungen (daher der alte Name Wurmfarn) und helfen, das Milieu im Verdauungstrakt zu stabilisieren.

Im Gegensatz zu den Farnen bevorzugen die Weiden helle, offene und luftige Standorte. So siedeln sie am liebsten in Flusstälern, in Auenlandschaften, an Gebirgsflüssen, am Rande von Seen und sind überall dort zu finden, wo sie leichten Zugang zum Wasser finden und viel Licht zur Verfügung haben. Weiden sind Meisterinnen im Umgang mit strömendem Wasser am Übergang zum Land. Mit ihren Feinwurzeln durchdringen sie dort den Boden und befestigen die Ufer. Das Wässrige lassen sie über ihre Blätter schnell wieder verdunsten und vermitteln dadurch andauernd zwischen Festem, Flüssigem und Luftigem. Weiden sind extrem vitale Pionierpflanzen und kommen mit fast allen Böden zurecht, wenn sie nur feucht genug sind. Sie besiedeln oft als erste neu entstehende Lebensräume, zum Beispiel das Geröll an Gletscherrändern, und bauen auf mineralischem Untergrund neues Leben auf. Auch im Organismus können Weidenblätter zwischen flüssigen, festen und gasförmigen Zuständen vermitteln, insbesondere im Darm mit seinen flüssig-festen und auch als Blähungen ins Gasförmige übergehenden Inhalt. Zudem stärken sie auch im Darm die „Uferbefestigung“, indem sie die Barrierefunktion der Darmschleimhaut stabilisieren, wenn sie gestört ist (Syndrom des durchlässigen Darms, „Leaky Gut“). Wenn Chemotherapien, Antibiotika und andere toxische Faktoren den Darm geschädigt und in eine „Geröllhalde“ verwandelt haben, kann es mit Hilfe von Weidenblätterzubereitungen gelingen, die aufbauenden Lebenskräfte neu zu wecken.

Wie bei vielen anthroposophischen Arzneimitteln sind die Anwendungsgebiete der nachfolgend beschriebenen Präparate sehr breit. Denn sie unterstützen die gesunde Regulationsfähigkeit und wirken ausgleichend und harmonisierend, indem sie die Wiederherstellung einer gesunden Mittellage zwischen krankhaften Auslenkungen in zum Teil gegensätzliche Richtungen fördern. So greifen die Spezialzubereitungen aus Weiden- und Farnblättern sowohl bei Durchfallerkrankungen als auch bei Verstopfung regulierend ein und helfen, das gestörte Gleichgewicht zwischen fest und flüssig wiederherzustellen sowie die Ansammlung von Gasen (Blähungen) aufzulösen. Außerdem erleichtern sie den Übergang der Nährstoffe in den Organismus und haben eine direkte, vitalisierende Wirkung auf die Darmwand, was sich zum Beispiel nach Bestrahlungen, Chemotherapie oder bei chronischen entzündlichen Darmerkrankungen sehr positiv auswirken kann.

Im Nachfolgenden seien die wichtigsten Arzneimittel mit Anwendungsgebieten genannt, wie sie auf unseren Erfahrungen basieren und sich zum Teil nicht in der Packungsbeilage finden. Sie sind teilweise dem Buch 12 magische Heilpflanzen und ihre Vielfalt in der Pflanzenheilkunde entnommen. Grundsätzlich ist zu beachten, dass unbedingt eine Ärztin oder ein Arzt aufgesucht werden muss, wenn wiederholt Durchfall, Verstopfung, Bauchschmerzen oder Sodbrennen auftreten, sich Blut im Stuhl findet oder der Test auf nicht sichtbares (okkultes) Blut im Stuhl auffällig ist. In diesen Fällen wird in der Regel eine Spiegelung vorgenommen, um Entzündungen und Krebserkrankungen möglichst frühzeitig behandeln zu können oder auszuschließen. ///

Praktische Anwendungstipps:

Digestodoron, Tropfen und Tabletten (Weleda) – anthroposophisches Basismittel aus allen drei Farnblättern sowie aus Weidenblättern zur Behandlung von Verdauungsstörungen und Darmerkrankungen.

Anwendungsgebiete:

• Durchfall, Verstopfung, Blähungen, Sodbrennen, Appetitlosigkeit, Völlegefühl und Übelkeit

• Reizdarmsyndrom

• entzündliche Darmerkrankungen (Colitis ulcerosa, Morbus Crohn, Divertikulitis)

• Pilzbefall des Darms (Candida)

• Störungen des Mikrobioms („Darmflora“)

• Nahrungsmittelunverträglichkeiten

• Darmbeteiligung bei anderen Erkrankungen, wie z.B. Autoimmunerkrankungen

• Nebenwirkungen anderer Therapien auf den Darm (zum Beispiel durch Antibiotika, Schmerz- und Rheumamittel, Strahlen- und Chemotherapie, Sondenernährung) – zur Vorbeugung und Behandlung

Dosierung: 3- bis 4-mal täglich 2-4 Tabletten, gut zerkaut mit Wasser oder in Wasser/Tee aufgelöst (oder 20 Tropfen in Wasser) 15 Minuten vor den Mahlzeiten.

Aquilinum comp. Globuli (WALA) – enthält im Vergleich zu Digestodoron anstelle des Tüpfelfarns den bis zu vier Meter großen Adlerfarn (Pteridium aquilinum), der hier vor allem die Vitalität der Darmschleimhaut anregen soll. Enthält weitere verdauungs- und stoffwechselanregende Pflanzen: Löwenzahn, Schöllkraut und Goldrute, jedoch keine Weidenblätter.

Anwendungsgebiete:

• Entgiftung, zum Beispiel im Rahmen von Fastenkuren, ausleitenden Diäten oder nach Chemotherapien, Antibiotika und sonstigen Belastungen

• Anregung des gesamten Magen-Darm-Stoffwechsels und der Verdauung Dosierung: 2- bis 4-mal täglich 10-15 Globuli.

Salix/Rhus comp. Globuli (WALA) – enthält ebenfalls Adler- statt Tüpfelfarn sowie Weidenblätter und andere Wirkstoffe, die auch insgesamt kräftigend wirken.

Anwendungsgebiete:

• wie oben, außerdem Appetitlosigkeit

• Erschöpfungszustände bei und nach länger anhaltenden Durchfallerkrankungen, Darmoperationen und aufgrund von Mangelernährung

Dosierung: 2- bis 4-mal täglich 10-15 Globuli.

Dr. med. Frank Meyer ist anthroposophischer Arzt und Gesundheitsautor. Gemeinsam mit dem Diplom-Agraringenieur und weltweit tätigen Experten für Heilpflanzenanbau Michael Straub hat er das Buch 12 magische Heilpflanzen und ihre Vielfalt in der Pflanzenheilkunde (Ulmer 2022) geschrieben, in dem anthroposophische Typenmittel wie das Digestodoron und die verwendeten Pflanzen in Wort und Bild ausführlich dargestellt werden.

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Über den Autor / die Autorin

Frank Meyer

Dr. med. Frank Meyer ist Facharzt für Allgemeinmedizin, Naturheilverfahren, Akupunktur. Niedergelassen als Anthroposophischer Hausarzt in Nürnberg. Seminar- und Vortragstätigkeiten, Bücher und Artikel in Fach- und Publikumszeitschriften zu den Schwerpunkten Selbstregulation, Integrative Medizin und Naturheilverfahren.