Das Skeptiker-Syndrom

Georg Soldner im Gespräch. Foto: Info3

Eine Art Kreuzzug gegen Alternative Medizin ist entbrannt, der gegen die Homöopathie ebenso vorgeht wie er auf der anderen Seite Impfpflicht und Widerspruchslösung bei der Organspende einführen will. Zugleich werden Naturmediziner und PatientInnen in ihren Therapiestandards eingeschränkt. Georg Soldner von der Medizinischen Sektion am Goetheanum in Dornach über inquisitorische Tendenzen eines mächtigen Netzwerkes.

Georg Soldner, müssen wir inzwischen von einem Kreuzzug der militanten Materialisten gegen die Alternativmedizin sprechen?

Es fällt zumindest auf, dass zunehmend Urteile über andersdenkende Ärzte gefällt werden, die ihnen das Recht auf eigenes Denken, Urteilen und Handeln im Bereich ihrer professionellen Tätigkeit absprechen. Mit gleicher Vehemenz wird PatientInnen und Eltern das Recht auf eigene Entscheidung in Impffragen oder für naturbasierte und homöopathisch potenzierte Arzneimittel abgesprochen. Hinsichtlich der Homöopathie wird gebetsmühlenartig wiederholt, es gebe keine Studien, die ihre Wirksamkeit beweisen würden. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Der australische NHMRC – der Rat für nationale Gesundheit und medizinische Forschung – zieht beispielsweise in seinem ursprünglichen Report zur Wirksamkeit homöopathischer Therapieverfahren rund 1800 publizierte Studien in Betracht. Allein zum Heuschnupfen und allergischen Asthma zitiert der Report in seiner Originalfassung, die erst auf massiven Druck hin jüngst veröffentlicht wurde, drei systematische Zusammenfassungen wissenschaftlicher Studien, die eine Wirksamkeit bei diesem sehr häufigen Krankheitsbild belegen.

Was hat es mit der verspäteten Veröffentlichung dieses Berichts auf sich?

Wir wissen heute, dass die Fassung, die 2015 veröffentlicht wurde und bis heute von allen sogenannten Skeptikern im Munde geführt wird, massiv „nachbearbeitet“ – Sie können auch sagen zensiert oder gefälscht – wurde, um die zahlreichen Belege für die Wirksamkeit homöopathischer Therapieverfahren durch willkürliche, wissenschaftlich unübliche Grenzziehungen ausschließen zu können. In dieser Fassung von 2015 wurden dann von 1800 nur noch fünf Studien überhaupt als wissenschaftlich relevant gewertet, um so zur Aussage zu gelangen, es gebe keine belegte Wirksamkeit der Homöopathie. Und daraus wird dann noch flugs das Argument in den Medien, dass es gar keine wissenschaftlichen Studien zu diesem Thema gäbe, die irgendeine Wirksamkeit der Globuli belegen!

In der sogenannten IIPCOS-Studie – vom Institut für angewandte Erkenntnistheorie und medizinische Methodologie in Freiburg – wurde schon vor mehr als zehn Jahren belegt, dass Kinder bei akuten Atemwegsinfekten durch eine homöopathische oder anthroposophische Behandlung mit potenzierten Arzneimitteln früher gesund wurden als Kinder unter Standardtherapie – und dass dabei weit weniger Nebenwirkungen auftraten. Während die Schulmedizin derzeit nicht weiß, wie sie das Problem der rasch zunehmenden Antibiotikaresistenz lösen soll, werden hier nebenwirkungsarme Therapieverfahren attackiert, die sich gerade bei den häufigen Atemwegsinfekten als wirksam gezeigt haben, worauf auch ihre Beliebtheit bei den Patienten hindeutet. Die niedrige Nebenwirkungsrate wird übrigens auch in der Originalfassung der australischen Analyse betont.

Welche anderen Gründe als die vermeintliche Unwirksamkeit könnten hinter den Attacken gegen die Homöopathie stehen?

Die sogenannten „Skeptiker“ haben sich seit den 1970er Jahren weltweit organisiert mit inzwischen großem Einfluss auf die öffentliche Meinung. Jüngst hat der Philosoph Markus Gabriel den „negativen Dogmatismus“ der Skeptiker treffend charakterisiert. Skeptiker, sagt er, glauben vom Grundansatz her, dass niemand die Wahrheit wissen könne, dass sie aber ganz sicher wüssten, was unwahr, unwissenschaftlich ist. Damit wollen sie all diese „Esoterik“ vollständige verbannen. Für die aktuellen Skeptikergruppen gilt, dass sie Geisteswissenschaft, philosophische Methodenreflexion, und insbesondere eine Reflexion der eigenen Perspektivgebundenheit nicht zulassen und nur positivistisch-naturwissenschaftlich erzielte Forschungsergebnisse anerkennen wollen. Wobei das obige Beispiel aus Australien zeigt, dass selbst hier nicht wissenschaftlich vorgegangen wird. Insofern sehe ich in dieser Bewegung eine Haltung, die einen geistigen Automatismus durchsetzen will, in dem nicht mehr der individuell denkende und urteilende Mensch im Mittelpunkt steht, sondern ein kalter, ja erbarmungsloser Machtanspruch, der Wissenschaft nicht versteht, sondern als Waffe benutzt. Skeptiker fordern Forschungsverbote für Homöopathie – Ähnliches gilt für die Anthroposophische Medizin –, agieren gegen die Berufung von Professoren auf Lehrstühle oder setzen den Ausschluss der Homöopathie als Inhalt an der Universität durch wie jüngst in Wien. Bemerkenswert daran ist, dass es nicht um eine wissenschaftliche Auseinandersetzung geht, sondern um ein Ausschalten des Andersdenkenden aus dem öffentlichen Diskurs. So fordern ja auch manche kinderärztliche Kollegen, allen Ärzten, die eigenständige Gesichtspunkte zu Impfentscheidungen formulieren, die Berufserlaubnis zu entziehen oder sie sonst juristisch zu verfolgen. Diese Form inquisitorischen Agierens steht klar im Widerspruch zu den Grundregeln eines akademischen Diskurses und auch unserer verfassungsmäßigen Grundordnung. Selbstverständlich muss man auch die wirtschaftlichen Interessen sehen, die die Nachfrage nach naturbasierten und nebenwirkungsarmen Arzneimitteln möglichst einschränken wollen zugunsten der Produkte der Großindustrie. Die stärkste Monopolisierung findet sich im Übrigen bei Impfstoffherstellern, deren Umsätze sich seit dem Jahr 2000 zum Teil verzehnfacht haben. Entsprechend stark sind die Einflüsse auf Ärzteorganisationen, leitende Medien und die Politik.

Woraus rekrutiert sich diese Skeptikerbewegung? Wissen Sie, wer da noch dahintersteckt?

Wir kennen deren Ursprünge insbesondere aus US-amerikanischen Wurzeln. Der populäre US-Philosoph Paul Kurtz stand in den 1970er Jahren am Anfang einer Skeptikervereinigung, die noch aus atheistischen und sozialistischen Wurzeln stammte und ein einseitiges Wissenschaftsverständnis vertrat. Der Name Committee for Scientific Investigation of Claims of the Paranormal (CSICOP) erinnert schon an eine mittelalterlich inquisitorische Institution, insofern hier ein Komitee gegründet wurde, das angeblich „Claims“ wissenschaftlich erforscht, welche sich auf das „Paranormale“ beziehen – wozu dann rasch die Homöopathie gezählt wurde, obwohl ihr Gründer Samuel Hahnemann ein stark von der Aufklärung geprägter Arzt war. Die GWUP ist ein deutscher Ableger dieser Bewegung.

In der FAZ lasen wir Anfang des Jahres über die Entdeckung der Mikroben, die noch vor 200 Jahren durch Infektionen hohe Sterberaten nach Operationen verursachten. Damals meinte ein führender skeptischer Mediziner: „Wo sind diese kleinen Biester? Zeigen Sie sie uns, und wir werden daran glauben.“ Das erinnert an die aktuelle Homöopathie-Debatte, oder?

In der Tat gibt es leider eine große Neigung zur Dogmatik in der Medizingeschichte. So wurde Ignaz Semmelweis verlacht, als er Hygiene in die Geburtshilfe einführen wollte. Samuel Hahnemann wurde außerordentlich angefeindet, war auch selbst ein Polemiker und erlangte erst nach der Völkerschlacht von Leipzig internationale Bekanntheit durch die erfolgreiche Behandlung der Typhus-Epidemie, die übrigens weit mehr als die Gabe homöopathischer Arzneimittel umfasste. Der Satz von Rosa Luxemburg, dass Freiheit die Freiheit des Andersdenkenden ist, findet nicht bei allen Ärzten Sympathie. Das „Skeptiker-Syndrom“ möchte demgegenüber die Denkfreiheit anderer einschränken. Dass dies innovationsfeindlich ist, sollten schon die wenigen Beispiele zeigen.

Was würde fehlen ohne homöopathische Medizin?

Eine wesentliche Möglichkeit, akute und chronische Krankheiten erfolgreich und mit sehr geringen Nebenwirkungen zu behandeln. Und die Möglichkeit, die Anwendung chemisch-allopathischer Arzneimittel wie zum Beispiel Antibiotika so einzuschränken, dass diese auch weiter wirksam bleiben. Ich selbst habe unter anderem eine Behandlung mit potenzierten anthroposophischen Arzneimitteln beim kindlichen Gelenkrheuma entwickelt und in einem Lehrbuch dazu mehrere Falldarstellungen veröffentlicht. Schon allein, wenn ich mir die Kinder, die auf diese Weise gesund geworden sind, vor Augen führe, und mir vorstelle, eine solche Behandlung sollte künftig nicht mehr möglich oder erlaubt sein, würde mir das Herz brechen.

Schauen Sie dennoch zuversichtlich in die Zukunft?

Ja. Erstens glaube ich, dass in Deutschland die Substanz an eigener ärztlicher Erfahrung, an Patientenerfahrung, an Entschlossenheit der Eltern, an wissenschaftlicher Expertise und einer nach 1945 geschaffenen verfassungsbasierten Grundordnung stark genug ist, um der Machtergreifung der Skeptikerbewegung zu widerstehen. In der Politik hoffe ich, dass Besinnung einkehrt. Es ist bemerkenswert, dass jetzt die CSU-Fraktion im bayerischen Landtag eine Studie fordert, um den Stellenwert der Homöopathie und Naturheilkunde in der Vermeidung von Antibiotika bei akuten Infektionskrankheiten zu erforschen. Solche Initiativen wünschen wir uns auch von den Grünen. ///

Über den Autor / die Autorin

Ronald Richter

Ronald Richter † (18.5.1954 - 18.1.2020) war ständiger Mitarbeiter von Info3, freier Autor und betrieb von Berlin aus das "Kult.Radio" auf www.kultradio.eu