Was macht Bildung zukunftsfähig?

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Bildung ist ein zentrales Element der anthroposophischen Bewegung. Mit den gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen stellen sich neue Fragen an die anthroposophisch orientierte Studien- und Ausbildungslandschaft. Sebastian Knust und Michael Schmock von der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland (AGiD) haben die Initiative CAMPUSBILDUNG mitbegründet und bereiten sich nun auf das Forum Zukunftsfähige Bildung vom 8. bis 10. Juni 2023 in Stuttgart vor. Im Interview sprechen sie über ihre Motive und Vorhaben.

Bildung ist ein großer Begriff. Was meinen Sie genau, wenn Sie sich mit Bildungsfragen beschäftigen?

Sebastian Knust: Die anthroposophische Bewegung lebt ja davon, gewisse Dinge anders zu vertreten und andere Wege zu gehen. Dadurch entstanden im letzten Jahrhundert mit der biologisch-dynamischen Landwirtschaft Vorreiter der weltweiten Bio-Bewegung oder mit der Waldorfpädagogik eine Schulrichtung, die seit jeher ein ganzheitliches Lernen propagiert – was sich in Teilen der Gesellschaft ebenfalls immer stärker durchsetzt. Solche Entwicklungen waren nicht ohne ein immenses Maß an Bildung möglich – sowohl individuell durch Einzelpersönlichkeiten als auch in anthroposophisch orientierten Bildungseinrichtungen aller Art. Bildung ist also eine große Stärke und gleichzeitig ein zentrales Element der anthroposophischen Bewegung. Und gerade jetzt gilt es sie zu stärken. Daher fragen wir: Wo sind neue, innovative Bildungs-Ideen und Impulse? Wie können wir durch die Anthroposophische Gesellschaft eine Unterstützung bieten, damit zum Beispiel ein Austausch über solch eine Frage angeregt wird?

Michael Schmock: Die Krisen der gegenwärtigen Gesellschafts- und Weltsituation haben sich zugespitzt. Der Corona-Einbruch hat eine große Verunsicherung und Polarisierung erzeugt. Der Ukraine-Krieg ebenso. Es wird von „Zeitenwende“ geredet und bislang gültige Werte von Gesundheit und Frieden werden uminterpretiert. Die Werte sind plötzlich andere und wir brauchen neue, sinnstiftende Paradigmen. Das gleiche gilt für den Klimawandel. Ein neues Verhältnis zur Natur wird zur existenziellen Frage für jeden einzelnen Menschen, für jede Organisation und jede Gesellschaft. Innere Kraftquellen sind gefragt, neue Orientierungen und Selbstsicherheit. Aber auch persönliche Urteilsfähigkeiten. Die explodierende digitale Information wird zur polarisierenden und attackierenden Dynamik, die das Bewusstsein in extreme Ausrichtungen zerlegt. Wie entsteht eine Konzentration auf Wesentliches? Was hält mich innerlich lebendig und wie entsteht ein neues Selbst- und Weltbewusstsein, das tragfähig ist – auch auf dünnem Eis? Die Bildungsfrage hat eine neue, existenzielle Dimension. Diese Situation auszuloten ist die Herausforderung und die Grundlage für die Frage: Wie macht Bildung zukunftsfähig? Wie wachsen wir innerlich mit den Problemen, die uns die Welt stellt?

Seit einem guten Jahr gibt es nun die Initiative CAMPUSBILDUNG. Was sind die Motive, die zu dieser Gründung geführt haben?

MS: Wir sprechen heute auf allen Kanälen von einer eklatanten Bildungsmisere. Da geht es um das Nachholen von Wissen, um die Ausfälle der Corona-Zeit zu kompensieren. Es geht um marode Schulgebäude und es geht um extremen Lehrermangel. Das alles ist entscheidend. Noch entscheidender ist nach meiner Auffassung die Frage, wie wir junge Menschen und uns selbst befähigen zu einem verantwortlichen, selbstbestimmten Leben, zu einer zukunftsfähigen Sozialkompetenz, zur Besinnung auf existenzielle Werte, zu einer Handlungsfähigkeit, die das Leben gestalten kann. Günter Jauch, der Moderator von „Wer wird Millionär“, hat vor kurzem einen Kommentar zur Bildungsfrage gegeben, den ich hier als ein mögliches Leitmotiv widergeben möchte: „Also, das Wort Bildung heißt ja nicht Wissen, oder einfach nur intelligent sein. Sondern, wenn ich’s mal ganz runterbreche für mich, habe ich einen Gebildeten vor mir, wenn er in der Lage ist, sein Leben sinnerfüllt zu gestalten. Das heißt also, ein Mensch, der in sich ruht, der weiß, was er kann und was er nicht kann. Der in der Lage ist, sozial untereinander auf vernünftige Weise zu agieren und damit für mich etwas darstellt im Leben. Der hat natürlich zehnmal mehr Bildung als irgendeiner, der formal noch drei Bildungsabschlüsse hat und sich damit einfach dicketut.“ In diesem Sinne untersuchen wir mit Studierenden, Auszubildenden und Ausbildungsverantwortlichen die Frage: Was macht Bildung zukunftsfähig? Es ist eine Mischung aus Evaluationsprozess und Vergewisserung von wesentlichen Akzenten. Letztendlich geht es in dem Gesamtprozess bis 2024, wo wir ein großes Bildungsfestival planen, auch um den Nachwuchs auf den verschiedenen Berufsfeldern. Wir wollen junge Menschen gewinnen, die in dem beschriebenen Sinne in Ausbildungen einsteigen wollen.

Das Forum Zukunftsfähige Bildung im Juni nimmt nun immer klarere Konturen an. Um was geht es bei dieser Veranstaltung?

SK: Drei Begriffe stehen dabei besonders im Fokus: Kreativität, Spiritualität und Selbstverantwortung. Immer wieder wurde bei den vorbereitenden Foren auf eine spirituelle Haltung der Welt und dem Beruf gegenüber hingewiesen, die beispielsweise durch einen besonderen Fokus auf Persönlichkeitsbildung gefördert werden sollte. Ebenso spielt Kreativität im Umgang mit neuen Lebens- oder Berufssituationen eine zentrale Rolle. Auf der anderen Seite kam uns seitens Studierender oder Auszubildender der Wunsch nach stärkerer Selbstverantwortung und Mitgestaltung entgegen. Auch darüber hinaus haben sich viele Fragen ergeben, zum Beispiel: Wie gehen wir um mit der gerade in der Corona-Krise verstärkten Kritik an der Anthroposophie oder wie können wir unser Leben so gestalten, dass wir bei Kräften bleiben?

Mit unserem Forum bieten wir nun zweieinhalb Tage Zeit, solche Fragen gemeinsam zu vertiefen. Dazu laden wir einerseits interessierte Verantwortliche aus Hochschulen und Ausbildungen aller Fachrichtungen ein. Zum anderen möchten wir auch mit meist jüngeren Studierenden und Auszubildenden in Dialog kommen. Das Forum ist übrigens ein wichtiger Zwischenschritt zu einem großen Bildungsfestival für Menschen, die Sinn und Transformationskraft im Beruf suchen. Es soll im Mai/Juni 2024 im westfälischen Schloss Hamborn stattfinden. Aber dazu vielleicht ein andermal mehr…

MS: Es ist ganz einfach: Wir wollen die Ich-Kompetenz jedes Menschen stärken und Eigeninitiative ermöglichen, also Selbstverantwortung, Kreativität und Spiritualität. Denn ohne diese drei „Basisqualitäten“ bewegt sich nichts. ///

Forum Zukunftsfähige Bildung

Kreativität : Spiritualität : Selbstverantwortung

vom 8. bis 10. Juni 2023 in Stuttgart

Infos und Anmeldung : www.campusbildung.de

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Interview