Robert Habeck: „Politik soll nicht Menschen umerziehen“

Foto Robert Habeck: Nadine Stegemann

Der Grünen-Co-Vorsitzende Robert Habeck ist derzeit einer der angesagtesten Politiker Deutschlands. Boris Voelkel traf ihn am Rande einer Veranstaltung und sprach mit ihm für info3 über Philosophie, Teilen als das neue Haben und die Grenzen der Politik.

Robert Habeck, Sie haben vor Ihrer politischen Laufbahn Philosophie studiert. Können wir heute noch etwas von den großen philosophischen Lehrern lernen? Gibt es etwas, was Sie besonders geprägt hat?

Ich würde zwei Texte nennen, die mich stärker als andere Philosophen beeindruckt haben. Das erste ist der französische Existenzialist Albert Camus. Er hat stark den Gedanken betont, dass wir unser Schicksal bejahen müssen. Das vielleicht bekannteste Bild von ihm ist der Mythos von Sisyphos, ein griechischer Held, der gegen die Götter aufbegehrte und zur Strafe immer wieder einen schweren Stein einen Berg hochrollen musste, der aber immer wieder herunterrollt. Er muss immer wieder vorn beginnen. Camus hat gesagt, das ist das Bild für den modernen Menschen, so ist unser Leben. Sisyphus sind wir alle, es wird nie wieder ins Paradies zurückgehen, es gibt keinen Zustand mehr, wo sich alle Widersprüche aufgelöst haben. Und wir sagen ja dazu. Camus hat geschrieben, wir müssen uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen. Diese Bejahung, auch angesichts von Rückschlägen, fand ich total stark und das hat mich geprägt.

Ein zweiter Denker, der mich beeindruckt hat, ist Immanuel Kant. Seine kritische Art des Hinterfragens – seine Bücher heißen ja zum Beispiel Kritik der reinen Vernunft, Kritik der Urteilskraft und so weiter – hat mich sehr beeindruckt. Ob ich selbst dem genüge, will ich nicht behaupten, aber wenn ich gefragt werde, welche Denker mich beeinflusst haben, dann würde ich diese beiden nennen.

Was sind Kraftquellen für Sie selbst? In Ihrem Buch schreiben Sie viel über die Diskrepanz von Anspruch und Wirklichkeit – was lässt Sie da durchhalten?

Ich begreife den Beruf, den ich als Politiker gerade habe, wirklich als Ansporn. Klar, man ist manchmal auch müde, enttäuscht, auch von sich selbst. Es macht nicht immer Spaß, aber es macht immer Sinn. Die Motivation kommt also aus dem Beruf selbst. Die Tage sind voll, aber ich will’s auch genauso haben. Aber wenn ich auf die Frage konkret antworten soll: Schlafen in der Sonne. Das ist das allerbeste, da brauche ich keinen Strand und keine Hängematte, das mache ich manchmal, wenn ich auf dem Bahnhof in Mannheim umsteige auf dem Weg zurück in den Norden, wenn ich da auch einen Zug später nehmen kann und die Sonne scheint gerade, dann gehe ich manchmal irgendwohin, lege mich auf den Boden, auf den Bürgersteig oder hinter eine Bank und mache zehn, zwanzig Minuten die Augen zu. Das sind eigentlich immer sehr coole Momente, wo man so herausfällt aus dem Leben und in der Sonne Kraft tankt.

Die Grünen stellen ja ihre Politik unter das Motto ökosoziale Marktwirtschaft: dem Menschen dienend, gemeinwohlorientiert. In Ihrem neuen Buch ist auch viel von Kompromissfähigkeit die Rede. Das Thema Empathiefähigkeit und Selbstwirksamkeit habe ich dagegen etwas vermisst. Viele Menschen – siehe Brexit – sind heute kaum urteilsfähig, alles wird von der Politik erwartet. Wo sind die Menschen selbst gefragt?

Ich glaube, Politik soll möglichst Freiräume schützen und Menschen die Chance geben, über ihr Leben selbstbestimmt zu entscheiden. Politik soll nicht Menschen umerziehen. Das heißt auch, wenn jemand nicht politisch sein will, dann muss ich damit leben. Ich möchte zwar dazu animieren, aber ich werde niemanden zwingen. Deshalb verbietet sich für mich auch das Urteil zu sagen, die anderen sind uninformierter und blöder als ich. Sie leben halt ihr Leben, das Geld ist knapp am Monatsende, alle haben Stress. Diesen Stress zu mildern, so denke ich, ist durch Politik möglich. Eher Garantiesysteme zu entwickeln, welche die Hast nach Mehr, Mehr, Mehr durchbrechen, dass man Wohlstand anders misst als nur durch Besitz. So muss nicht jeder ein Auto besitzen, wenn Mobilität für alle gewährleistet ist. Solche Maßnahmen zielen aber nicht auf den Menschen, auf dass er ein anderer werde, sondern auf den Freiraum, der vergrößert wird, um sich zu fragen, wer er oder sie eigentlich sein will.

Man spricht heute vom kognitiven Overload, die Menschen sind kognitiv „dicht“. Gerade durch die Digitalisierung wissen wir unglaublich viel, aber es verändert sich nichts. Können Sie sich im Bereich des digitalen Konsums mehr Verbraucherschutz vorstellen, gerade auch für heranwachsende Menschen?

Vieles ist da eine Sache der Aufklärung, vieles kann man auch staatlich regulieren. Bei Medien wie Facebook und Twitter sollen sicherlich Äußerungen herausgenommen werden, die wir im analogen Leben wegen Anstandsverletzung nicht durchgehen lassen würden, etwa Beleidigungen oder faschistische Äußerungen. Am Ende glaube ich allerdings, dass die sogenannten Sozialen Medien nicht durch Regulierung an ihre Grenzen geführt werden, sondern wenn Menschen sie zwar als Technik mitnehmen, sie aber nicht als Lebensinhalt hochhalten. Die jungen Menschen, die bei Fridays for Future mitgehen, sind ja auf der realen Straße, sie machen nicht einen Klick im Internet, sondern sind wirklich da. Mein Eindruck ist, dass wie in einer Reaktion auf die Welt der Digitalisierung zunehmend ein Verlangen nach direkter Kommunikation größer wird. Das finde ich freundlich und positiv.

Wie können wir für eine nachhaltige Lebensweise werben, ohne dass dies als Verzicht daherkommt?

Wir alle, mich eingeschlossen, leben in einer Welt, die uns weißmachen will, dass die Wertigkeit unseres Lebens durch die Maximierung unseres Besitzes definiert ist – Besitz nicht nur im Sinne von drei Häusern und einem fetten Auto, sondern auch: den neuen Fernseher haben, immer wieder neue Schuhe, das neueste Handymodell und so weiter. Ich denke, das ändert sich gerade. Viele Menschen haben eine Sehnsucht nach weniger Besitz, sie wollen aber teilhaben am gesellschaftlichen Leben. Gerade bei jungen Leuten ist etwa der Wunsch, ein eigenes Auto zu haben, gar nicht mehr ausgeprägt. Sie wollen aber günstig und bequem von A nach B kommen. Da erwacht etwas Neues, vielleicht eine Art Post-Materialismus. Wir haben das in unserem Grundsatzprogramm mit „Teilen ist das neue Haben“ beschrieben. Im Austausch sein. Wenn du eine Bohrmaschine brauchst, musst du nicht deine eigene im Keller haben. Ein anderes Phänomen ist die Solidarische Landwirtschaft, die immer mehr aufkommt: nicht die Produkte zu bezahlen sondern etwas zu geben, damit der landwirtschaftliche Betrieb arbeiten kann. Die direkte Beziehung ist wichtig. Das scheint mir wie eine Gegenbewegung zu der verbreiteten Discounter-Mentalität und die Sozialen Medien zu sein. Und das ist keine politisch indizierte Bewegung, sondern eine gesellschaftliche Bewegung, und nur die haben auch eine Chance, stark zu werden und sich durchzusetzen. ///

Der Text erschien in der Ausgabe 5/2019 der Zeitschrift info3. Hier die Printausgabe oder ein kostenloses Probeheft bestellen.

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