Wie Homöopathie wirkt und warum der Mensch kein mechanischer Apparat ist

Harald Matthes. © Ronald Richter, Info3 Verlag
Prof. Dr. Harald Matthes ist Leiter des Krankenhauses Havelhöhe, Berlin. Foto: Info3

Harald Matthes vom Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe bei Berlin ist ein profunder Kenner des Wissenschaftsstandes in Sachen Homöopathie. Im Gespräch mit info3 erklärt er, warum mechanische Wirkprinzipien bei der Homöopathie nicht maßgeblich sind.

Herr Professor Matthes, können Sie uns schildern, wie Homöopathie wirkt?

Diese Frage zielt darauf ab, dass wir – wie heute üblich – in der Pharmakologie gern einen Wirkmechanismus haben möchten. Dahinter steht jedoch eine Theorie: nämlich, dass erstens die Medizin eine Naturwissenschaft ist und dass zweitens in der Medizin nur ein Ursache-Wirkungsprinzip, eine Kausalität, wirkt.

Nur ist dem leider nicht so. Die Medizin ist keine Naturwissenschaft, sondern eine Handlungswissenschaft. Das ist übrigens auch Konsens in der Bundesärztekammer. Daher ist Medizin eine Wissenschaft, die empirisch belegt werden muss, das heißt, wir müssen einerseits fragen: Gibt es Studien, die empirisch belegen, dass Homöopathie wirksam ist? Dann kann man sagen: Ja.

Anderseits, wenn man verstehen möchte: Wie kann bei der Homöopathie, wenn wir über die Potenzierung D 24 hinausgehen, wo ja gar kein Molekül mehr nachweisbar ist, wie kann so etwas wirken? Da kann man erst einmal sagen: Hier ist die Homöopathie anders zu denken als die konventionelle Pharmakologie, die aber auch nur sehr begrenzt heute in der Medizin einzusetzen ist. Denn die kann etwas ersetzen, was wir im Körper nicht haben, das nennen wir Substitution, oder sie kann etwas blockieren oder stimulieren, indem sie an bestimmte Rezeptoren angreift. Das ist eine einfache Ursache-Wirkungskorrelation, also Kausalität, hat aber mit Heilung, mit Regulation eines Organismus, nichts zu tun.

Wenn wir jetzt von der anderen Seite kommen, dann wissen wir, dass zum Beispiel die Psychotherapie selbst bei Krebserkrankungen einen Überlebensvorteil bringen kann, also eine nicht stoffgebundene Intervention. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: In der Harvard Medical School hat man mit Studenten eine Untersuchung gemacht, bei der die Stressgene bestimmt wurden. Da hat man einen Gen-Chip mit 500 Stress-Genen eingesetzt und sie gemessen, bevor die Studenten eine Woche lang jeden Tag eine halbe Stunde meditierten. Es wurde nicht gesagt, was genau sie meditieren sollten. Sie konnten sich auf ihre Atmung oder auf die Ruhe konzentrieren; oder sie konnten nachdenken. Das war alles nicht vorgegeben. Das Einzige, was dann wieder nach einer Woche überprüft wurde, war: Wie waren jetzt die Stressgene exprimiert?

Und das Ergebnis?

Man fand heraus, dass von den 500 Stressgenen 458 herunterreguliert waren. Da kommt die Frage auf: Wie kann denn Meditation, die etwas ist, was in der Seele oder im Geist des Menschen praktiziert wird, wie kann das auf unsere Gene wirken? Wir wissen heute, dass die Genregulation von einer Zelle zu 94 Prozent durch Information von außen auf die Zelle wirkt und nur zu sechs Prozent durch innere zelluläre Regulation. Biologie heißt: Wir sind ein umweltoffenes System, wir nehmen Informationen auf.

Jetzt ist die Frage: Was ist alles Information? Und wenn ich frage, was passiert während der Meditation und welche Information wird durch die Meditation gegeben? Dann kann ich nur sagen: Das kann sehr vielschichtig sein. Das einzige, was ich weiß, ist, dass Stressgene herunterreguliert werden. Das heißt, ich habe etwas Nicht-Stoffliches als Ausgangsposition, nämlich die Meditation, und die führt zu einer stofflichen, einer leiblichen Veränderung.

Und wenn wir jetzt zur Homöopathie zurückkehren, dann ist es so, dass wir dort immer von den Stoffen ausgehen. Jeder Stoff hat bestimmte Eigenschaften. Und diese zunächst stofflichen Eigenschaften sind es nun, die wir versuchen in der Homöopathie anzuwenden, indem wir sie nicht stofflich, sondern dynamisiert, das heißt potenziert nun als ein Wirkprinzip dem Organismus zur Verfügung stellen. Es geht daher um Informationsübertragung, bei der die Regulation des Organismus beeinflusst wird.

Geht es in der Homöopathie um Regulationsbeeinflussung, so in der Naturheilkunde um eine Reiz-Reaktionsbeeinflussung, indem wir einen Reiz setzen und die Reaktion die Heilung bewirkt. In der Homöopathie versuchen wir dem Organismus dadurch zu helfen, dass das der Pflanze beziehungsweise der Substanz innewohnende Bildeprinzip in dynamisierter Form zur Information im Medium – Wasser – transformiert und so Einfluss auf die Selbstregulationsprozesse des Menschen nimmt.

Das bedeutet also, wir haben es in der Homöopathie mit einem Wirkmechanismus zu tun, der nicht über den physischen und damit materiellen Teil auf den Menschen wirkt, sondern auf die Regulationsprozesse mittels Information und damit regulativ auf das Lebendige und Beseelte des Leibes.

Es gibt aktuelle Untersuchungen von Professor Stephan Baumgartner an der Uni Witten/Herdecke, die besagen, dass es bei den homöopathischen Mitteln doch noch so etwas wie feststellbare Substanz durch die Dynamisierung gibt.

Ich kenne Professor Baumgartners Untersuchungen. Er sagt nicht, dass noch Moleküle, Substanzen in der Flüssigkeit physikalisch nachzuweisen sind. Sondern er kann mit den verschiedenen Verdünnungsreihen Einfluss auf Wachstumsphänomene darstellen. Er benutzt heranreifende Keimlinge, an denen beobachtet wird, wo bestimmte Potenzen sie in ihrem Wachstum beschleunigen und andere Potenzen diese hemmen.

Man kann daher sagen: Es ist offensichtlich eine Information in dem Wasser, mit dem die Substanz verschüttelt wurde. Sodass wir hier in der Trägersubstanz Wasser eine Information haben, die eine Wirkung hat, die wir naturwissenschaftlich klassisch-physikalisch nicht verstehen, weil es kein materielles Ursache-Wirkungsprinzip ist.

Der Mensch ist nun ein deutlich komplexeres Wesen als ein mechanischer Apparat. Der menschliche Leib als ein belebtes System gehört eher den Lebenswissenschaften an. Leben geht nicht aus Unbelebtem hervor, sondern ist eine eigene Kategorie. Leben entsteht nur aus Leben. Selbst in der Genetik bedarf es immer einer belebten Eizelle, auch wenn sie vollständig entkernt wird, um mit einem anderen Kern wieder neues Leben zu schaffen.

Über dieser Lebensebene gibt es noch eine weitere Ebene, die des Seelischen. Ich deutete dies bereits mit dem Meditationsbeispiel an. Meditation als seelischer Prozess wirkt auf den belebten Leib und deren Genexpression.

Darüber hinaus gibt es noch die spirituelle Dimension des Menschen. Diese Interaktion zwischen den verschiedenen Ebenen, das ist auch heute noch eine ziemlich unbekannte, unerforschte wissenschaftliche Situation. Daher können wir sagen, wir brauchen nicht die Erklärung eines mechanistischen Wirkmechanismus.

Ob etwas in der Medizin wirkt oder nicht, wird mittels einer empirischen Studie überprüft. Es ist nicht entscheidend, dass wir den Wirkmechanismus verstehen, entscheidend ist, dass wir empirisch nachweisen können, dass es zu einer Heilung oder zu einer Beeinflussung des Heilungsprozesses kommt.

Sie sind leitender Arzt der Gastroenterologie am Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe, einer Abteilung mit oft sehr schwerwiegenden Erkrankungen des Magen- und Darmtraktes. Verschreiben Sie da homöopathische Arzneimittel?

Wir benutzen auchpotenzierte Medikamente, die jetzt weniger nach dem Arzneimittelbild der Homöopathie gegeben werden als nach dem der Anthroposophie. In der Anthroposophischen Medizin kommen nur sehr selten Arzneimittel zur Anwendung, in denen sich keine Substanz mehr befindet. Wir bleiben eher bei den Potenzen bis D 20 – wir gehen kaum über eine Verdünnung über die Avogadro Zahl (2,686 x 1023) von D 24 (= 1/1024) hinaus – sodass die D 30-Potenzen etwas sehr Seltenes in der Anthroposophischen Medizin sind. In der Homöopathie werden jedoch noch weit höhere Verdünnungen benutzt, zum Beispiel C 1000 (= 1/101000).

Steiner hat ja vor den Hochpotenzen gewarnt …

Rudolf Steiner meinte, dass, wenn wir in die Hochpotenzen (C 1000 Potenzen) gehen, wir dort in Bereiche geraten, in denen wir über die Lebens- und Selbstregulationssprozesse weit hinaus gehen, in Bereiche also, wo das, was wir das Seelische und gegebenenfalls auch das Individuelle, das Spirituelle eines Menschen nennen, beeinflusst wird, das etwas ist, in das wir Ärzte eigentlich nicht eingreifen sollten.

Kann es sich unsere Gesellschaft leisten, Homöopathie auf Krankenkassen-Rezept zu verschreiben?

Das ist überhaupt kein wirtschaftliches Problem. Wir haben heute Medikamente aus der Allopathie auf dem Markt, die im Preisverhältnis zu den geringen Kosten für homöopathische Mittel überhaupt nicht zu vergleichen sind.

Hieß es nicht mal: Wer heilt, hat recht?

Ja. Das ist völlig richtig: Medizin muss empirisch bewiesen haben, dass sie wirkt. Und deshalb: Wer heilt, hat recht! 70 Prozent der Bevölkerung wünschen sich eine Integrative Medizin. Das heißt, die Menschen wollen nicht nur Medikamente gegen etwas haben: Antibiotika, Antihypertensiva und so weiter, also eine Anti-Medizin; sondern auch eine, die anregt zur Selbstregulation, zur Heilung, also zur Salutogenese. Das nennen wir eine Integrative Medizin, bei der wir das Beste aus der komplementären, salutogenetisch orientierten Medizin und das Beste, was die pathogenetische Schulmedizin hat, zu einem Konzept zusammenfügen.

Das bedeutet, dass die Menschen schon selber merken, dass Integrative Medizin nicht ein Entweder-oder ist, sondern ein Sowohl-als-auch. Ich kann auf der einen Seite bestimmte Prozesse unterdrücken, auf der anderen Seite Selbstheilungsprozesse anregen. Je mehr der Patient bereit ist, für seine Gesundheit etwas zu tun, desto mehr können wir hier salutogenetische Prozesse anwenden.

Das hängt natürlich auch von den Ressourcen ab, die dieser Organismus zur Verfügung hat. Je weniger Ressourcen ihm zur Verfügung stehen, desto mehr müssen wir eine mechanistische Anti-Medizin im Sinne der Unterdrückung von Symptomen anwenden, die aber meist oder fast nie zur Heilung führt.

Denn das ist das Dilemma der derzeitigen Schulmedizin, dass die ganzen chronischen Erkrankungen wie die großen Volkskrankheiten, etwa Rheuma oder die Auto-Immunerkrankungen, durch sie nicht geheilt, sondern nur eingestellt oder unterdrückend behandelt werden. ///

Lesen Sie weitere Beiträge zum Thema in unserer aktuellen Schwerpunktausgabe “Homöopathie wirkt!”.

Über den Autor / die Autorin

Ronald Richter

Ronald Richter † (18.5.1954 - 18.1.2020) war ständiger Mitarbeiter von Info3, freier Autor und betrieb von Berlin aus das "Kult.Radio" auf www.kultradio.eu