Flieg, Emmy, flieg!

Sie ist eine von Vielen: Emmy. Mit zunehmendem Alter verliert sie Sprache und Ausdruck. Nur die Lieder, die sie zeitlebens gesungen hat, bleiben noch lange erhalten, bis auch sie sich verflüchtigen. Die Lieder sind es aber auch, durch die ihre Therapeutin Zugang zu Emmys Innenleben findet. –

Eine kleine Geschichte aus dem Alltag, die verstummende Sprache im O-Ton und die immer wieder ohne jeglichen Zusammenhang aufleuchtenden Liedtexte machen dieses Buch zu einem beeindruckenden Dokument von Wandlung, Zuversicht und Menschlichkeit.

Alma Wichmann-Erlen
Flieg, Emmy, flieg!
Kauderwelsch und Geistesgegenwart einer demenzerkrankten großen Seele

Schlanke Reihe Band 4
1. Auflage 2022, 100 Seiten, Klappenbroschur

€ 9,90

ISBN 978-3-95779-169-6

Alma Wichmann-Erlen, geb. 1954, ist Sozialtherapeutin und Kunsttherapeutin im Fachbereich Musik. Seit ihrem 20. Lebensjahr ist sie mit der Anthroposophie verbunden. Sie war in freier Praxis musiktherapeutisch tätig und lebt in der Nähe von Neuruppin.


Die Liedtexte

aus: Das goldene Buch der Lautenlieder, 1937

1. Aus grauer Städte Mauern ziehn wir durch Wald und Feld,

wer bleibt, der mag versauern, wir fahren in die Welt
: Halli, hallo, wir fahren, wir fahren in die Welt:
Der Wald ist unsre Liebe, der Himmel unser Zelt,
ob heiter oder trübe, wir fahren in die Welt.
: Halli, hallo … :
Die Sommervögel ziehen schon über Wald und Feld.
Da heißt es, Abschied nehmen, wir fahren in die Welt.
: Halli, hallo … :

***

2. Ein Heller und ein Batzen, die waren beide mein;

der Heller ward zu Wasser, der Batzen ward zu Wein.
: Heidi, heido, heida … :
Die Mädel und die Wirtsleut‘, die rufen beid‘ : oh weh!
Die Wirtsleut‘, wenn ich komme, die Mädel, wenn ich geh‘
: Heidi, heido, heida … :

***

3. Im Frühtau zu Berge wir ziehn, vallera,

grün schimmern wie Smaragde alle Höhn, vallera!
Wir wandern ohne Sorgen singend in den Morgen,
noch ehe im Tale die Hähne krähn.
Ihr alten und wohlweisen Leut, vallera!
Ihr denkt wohl, wir wären nicht gescheit, vallera!
Wer sollte aber singen, wenn wir schon Grillen fingen
in dieser herrlichen Frühlingszeit.
Werft von euch, ihr Menschen, die Sorg‘, vallera!
Kommt mit uns auf die Höhen aus dem Tal, vallera!
Wir sind hinaus gegangen, den Sonnenschein zu fangen,
kommt mit und versucht es doch selbst einmal!

***

4. Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten,

sie fliehen vorbei wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen
mit Pulver und Blei, die Gedanken sind frei!
Ich denke, was ich will und was mich beglücket,
doch alles in der Still und wie es sich schicket.
Mein Wunsch und Begehren kann niemand verwehren,
es bleibet dabei: Die Gedanken sind frei!
Und sperrt man mich ein im finsteren Kerker,
das alles sind rein vergebliche Werke;
denn meine Gedanken zerreißen die Schranken
und Mauern entzwei: die Gedanken sind frei!

***

5. Mein Vater war ein Wandersmann

und mir steckt‘s auch im Blut,
drum wandere ich frisch, solang ich kann
und schwenke meinen Hut!

***

6. Ein Vogel wollte Hochzeit halten in dem grünen Walde,

: viderallala, … :
Die Amsel war der Bäutigam, die Drossel war die Braute,
: viderallalla, … :
Der Uhu, der Uhu, der macht die Fensterläden zu,
: viderallalla, … :
Die Fledermaus, die Fledermaus, die zieht der Braut die Strümpfe aus,
: viderallalla, … :

***

7. Winde wehn, Schiffe gehen weit ins fremde Land. Und des Matrosen

allerliebster Schatz bleibt weinend stehn am Strand.
Wein doch nicht, lieb Gesicht, wisch die Tränen ab!
Und denk an mich und an die schöne Zeit, bis ich dich wieder hab.
Silber und Gold, Kisten voll, bring ich dann mit mir.   Ich bringe Seide und
Sammet- Sammetzeug, und alles schenk ich dir.

***

Aus Emmys Gedächtnis:

Hohe Tannen weisen die Sterne von der Iser wildschäumender Flut.

Liegt das Lager auch in weiter Ferne, doch du, Rübezahl, hütest es gut.

Hat sich uns zu eigen gegeben, der die Sagen und Märchen ersinnt.

Und im tiefsten Waldesfrieden als ein Riese Gestalt annimmt.

Komm zu uns an das flackernde Feuer, in die Berge bei stürmischer Nacht.

Schütz die Zelte, die Heimat, die teure, komm und halte mit uns treue Wacht.

Viele Jahre sind schon vergangen und ich sehn mich nach Hause zurück.

Wo die frohen Lieder oft erklangen, da erlebt‘ ich der Jugendzeit Glück.

Wo die Tannen stehn auf den Bergen wild vom Sturmwund umbraust in der Nacht,

Hält der Rübezahl mit seinen Zwergen alle Zeiten für uns treue Wacht.

Höre, Rübezahl, was wir dir sagen, Volk und Heimat sind nimmermehr frei.

Schwing die Keule wie in alten Tagen, schlage Hader und Zwietracht entzwei.