Wir Fremdlinge – Der Kasseler Obelisk von Olu Oguibe

Der Obelisk von Olu Oguibe in Kassel. ©Wikimedia / Info3 Verlag 2018
Der Obelisk von Olu Oguibe in Kassel. ©Wikimedia / Info3 Verlag 2018

Johannes Denger zum Streit um den Kasseler Obelisken des nigerianisch-amerikanischen Künstlers.

Als ich anlässlich der Documenta 2017 den Obelisken des nigerianisch-amerikanischen Künstlers Olu Oguibe mit dem Bibelzitat Ich war ein Fremdling und ihr habt mich beherbergt (Matthäus 25.36) zum ersten Mal auf dem Königsplatz in Kassel sah, dachte ich: Ja, etwas plakativ, aber nett. Der große runde Platz hatte jetzt einen leicht exzentrisch platzierten Mittelpunkt. Noch ahnte ich nicht, dass es zum wirkungsvollsten Gesamtkunstwerk der stark gesellschaftspolitisch geprägten Documenta 14 werden sollte.

Mit einem ausgeprägten Gespür für gelungenes Timing wurde der Obelisk nach einer beinahe einjährigen politischen Auseinandersetzung nun am Tag der Deutschen Einheit morgens früh ab 4.30 Uhr abgetragen. Danach sollten die Einzelteile, die nur unter Aufbietung enormer Gewalt voneinander zu trennen gewesen waren, auf einen Bauhof gebracht werden, wo sie auf ihren Abtransport in die USA warten. Zerlegt und neben einem Haufen Betonsteine abgestellt, standen sie da wie ihre eigenen Grabsteine. Schon kurze Zeit später legten Bürger auf dem aufgerissenen Pflaster des Königsplatzes, aus dem der Sockel herausgebrochen wurde, Blumen nieder, berichtet Die Süddeutsche Zeitung.

Der Obelisk, der mit seinen vier Flächen alle Himmelsrichtungen und mit der pyramidalen Spitze das Oben und das Unten einbezieht, ist nicht das ganze Kunstwerk. Erst wenn man die gesellschaftspolitische Dimension der Auseinandersetzung dazu nimmt, offenbart es sich in seiner wahren Größe – und zeigt in genialer Weise, wes Geistes Kind die jeweiligen Protagonisten sind. Alle spielten sie brav ihre Rolle! Die im Stadtparlament vertretene AfD machte unter Anspielung auf den diffamierenden Begriff der „entarteten Kunst“ der Nationalsozialisten Propaganda gegen die „entstellende Kunst“, womit ja wohl nicht die eher bieder-klassische Form gemeint sein konnte. Der Obelisk wurde so selbst zum bedrohenden Fremdling gemacht, „der abgesondert und ausgeschieden werden sollte“ (SZ). Der Kasseler Bürgermeister Christian Geselle, SPD, ließ zu, dass sich die Standortfrage im Parlament in ein Ultimatum dem Künstler gegenüber verwandelte. Wohlmeinende Kassler Bürger sammelten 126.000 Euro und boten sie dem Künstler, der ursprünglich eher an eine Million dachte, als Kaufpreis an, dem dieser sogar zustimmte. Nicht zugestimmt hat Olu Oguibe allerdings dem Ansinnen, den Obelisken – sozusagen als Denkmal seiner selbst – vom Königsplatz an die Treppenstraße zu verpflanzen.

Der Obelisk von Olu Oguibe in Kassel. ©Wikimedia / Info3 Verlag 2018

Der Obelisk von Olu Oguibe in Kassel. ©Wikimedia / Info3 Verlag 2018

Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeist; ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich getränkt; ich bin ein Fremdling gewesen, und ihr habt mich beherbergt; ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich bekleidet; ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht; ich bin gefangen gewesen, und ihr seid zu mir gekommen, so die ganze Stelle aus dem Evangelium. Es ist die zentrale christliche Botschaft. Sie mündet in den berühmten Satz: Wahrlich, ich sage euch, insofern ihr es getan habt einem dieser meiner geringsten Brüder, habt ihr es mir getan! (Matthäus 25.41)

Es ist wahrlich an Absurdität nicht zu übertreffen und total entlarvend, dass die „besorgten Bürger“ der AfD, die unter anderem befürchten, dass die Kultur des christlichen Abendlandes heute durch die Migration bedroht sei, den Satz Ich war ein Fremdling und ihr habt mich beherbergt, den Christus selbst ausspricht, nicht ertragen können. Es ist das Soziale schlechthin, das heute bedroht ist, denn wir alle, nicht nur die Flüchtlinge und Migranten, sind Fremdlinge auf der Erde, angewiesen darauf, dass uns andere beherbergen.

Über den Autor / die Autorin

Johannes Denger

Johannes Denger ist Heilpädagoge, Waldorflehrer und Info3-Autor.