Schloss Freudenberg: Camouflage, die sichtbar macht

Schloss Freudenberg: Erfahrungsfeld der Sinne, Denkraum und kreatives Projekt. Foto: © Schloss Freudenberg
Schloss Freudenberg: Erfahrungsfeld der Sinne, Denkraum und kreatives Projekt. Foto: © Schloss Freudenberg

Das Erfahrungsfeld Schloss Freudenberg ist um eine Attraktion reicher: einen zerlegbaren Leopard-Panzer in 136 Polster-Teilen und Tarn-Optik. Info3 hat das Kunstwerk ausprobiert.

Verwandlung liegt in der Luft, es ist Frühling. Schloss Freudenberg im hessischen Rheingau bei Wiesbaden wird zart umspielt von der Melodie der ersten Vögel. Blüten zieren den Garten des „Erfahrungsfeldes zur Entfaltung der Sinne und des Denkens“, wo seit 1993 Jung und Alt zusammenkommen, gemeinsam wahrnehmend forschen und Ungeahntes entdecken.

Nicht nur in der malerischen Frühlingsnatur, auch unter dem Dach des über ein Jahrhundert alten Gebäudes treffe ich ungeahnt auf Verwandlung. Im großen, hellen Dachgeschoss begegnet mir ein Haufen Sitzmodule in Nato-Tarnfarbe, hier wild verteilt, dort übereinandergestapelt und gruppiert. Fand hier gerade eine Gesprächsrunde statt oder warten die Teile eher darauf, umgebaut zu werden? Beides ist der Fall. Wo sich eben noch eine Arbeitsgruppe besprach, toben jetzt Kinder. „Alles ist hier möglich“, so Erfahrungsfeld-Mitarbeiter Lothar Backes, der gerade eine Führung gibt.

Freudenberg-Chef Matthias Schenk, Philip Haas und andere haben die 136 gepolsterten Einzelteile auf der documenta 14 in Kassel entdeckt. In ihrer Ursprungsform bilden sie das panzerartige Gebilde POLEMOS (griechisch für die göttliche Verkörperung von Streit und Krieg), in der Originalgröße und – form eines Leopard-Panzers.

Das postmoderne Werk des griechischen Künstlers Andreas Angelidakis scheint mit der märchenhaften Ästhetik und Poesie des Ortes zu brechen. Aber was zunächst an eine Kriegsmaschine erinnert, wird auf Schloss Freudenberg als offener Begegnungsraum ent-tarnt. Bereits auf der Weltkunstausstellung wurden die Besuchenden eingeladen, das „Parliament of Bodies“ auseinanderzunehmen, um dabei ins Gespräch zu kommen. Für jedes Kunstwerk gilt: es entfaltet sich nicht, indem man es äußerlich zu betrachten versucht, sondern indem man es selbst realisiert.

„Es ist, als habe sich da etwas zusammengefunden, was nur aufeinander gewartet hatte“, schildert Schenk erfreut. Die Kommunikationsleiterin Bettina Bettmann ergänzt, sie hätten eine Form gesucht, den neu entstandenen „Denkraum“ zu nutzen und dabei ganz auf klassische Bestuhlungsmuster wie Stuhlkreis oder Ähnliches zu verzichten. Es sei allerdings, so Schenk, für viele zunächst ein Problem gewesen, sich auf die „Nicht-Möblierung“, die militärische Assoziationen weckt, einzulassen.

Die Chancen, die POLEMOS birgt, sind vielfältig und werden künftig etwa für Gruppentreffen genutzt. Energie, die oft in Konflikte fließt, kann umgewandelt werden in ein konstruktives Miteinander, in den Mut, sich zu zeigen, und die Freude, mit anderen zu sprechen. Zu dekonstruieren, POLEMOS auseinanderzunehmen, ermöglicht es, vertrauensvoll in die ungewisse Zukunft hinein zu konstruieren.

Ein Mitarbeiter beschreibt, wie er sich während einer Teambesprechung umpositionierte und sich sein Blick verschob, weg vom WAS hin zum WIE des Miteinanderredens. So kann Bewusstsein wachsen für versteckte und unausgesprochene Machtverhältnisse und Hindernisse, die in einer rigiden Gesprächskultur einem offenen Miteinander im Weg stehen.

Kindern, so beobachte ich, fällt es leicht, sich in das Kissendurcheinander, in das Ungewisse, zu stürzen. Haas formuliert dazu treffend: „Erwachsene müssen hingegen wieder lernen, diese Freiheit auszuhalten.“

Um dieses Experiment lebendig zu halten, freuen sich die Freudenberger über die nötigen finanziellen Mittel, die die Kosten des Künstlers decken.

 

Das Erfahrungsfeld Schloss Freudenberg sammelt noch bis zum 1. Mai Geld zum Erwerb des documenta-Kunstwerks.

Ein Panzer mit neuer Mission auf Schloss Freudenberg: Hier geht’s zur Crowdfunding-Aktion.

Über den Autor / die Autorin

Andrea Kreisel

Andrea Kreisel hat Philosophie, Kulturreflexion und kulturelle Praxis an der Universität Witten/Herdecke studiert und ist seit 2019 Autorin bei Info3.

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