Info3: Wie alles anfing

Teil II

Die Zeitschrift Info3 als Organ für die neu-alte Dreigliederungsbewegung, was aus ihr geworden ist und was noch werden kann. Auf der Suche nach ihrer „Mission“.

1971: Neuanfang

Ich lernte die soziale Dreigliederung 1971 in dem neu gegründeten Internationalen Kulturzentrum in Achberg kennen. Die Bundesrepublik war damals, trotz des „Wirtschaftswunders“ noch vollkommen traumatisiert vom Zweiten Weltkrieg und von der Teilung Deutschlands. Es war die Zeit, in der die großartigen Erneuerungsimpulse der 1968er Jahre überschattet wurden von den Aktionen der RAF und der völlig überzogenen Reaktion des Staates darauf mit Polizeigewalt und Notstandsgesetzen. Der Ost-Westkonflikt hatte eisige Formen der Bedrohung erreicht, der Prager Frühling war von sowjetischen Truppen niedergeschlagen worden. „Dreigliederung“ wurde in Achberg als “Dritter Weg” (nicht zu verwechseln mit der heutigen rechtsextremen gleichnamigen Splittergruppe!)  zwischen Kapitalismus und Kommunismus verstanden, „freies Geistesleben“ als Möglichkeit, freie Schulen (z.B. Waldorfschulen) gründen zu können.

Von der Perspektive einer Neuordnung für das Zusammenleben der Völker, wie sich die Frage gut 50 Jahre vorher gestellt hatte, war kaum die Rede. „Soziale Dreigliederung“ war zwar immer noch ein gesellschaftliches Anliegen, bezog sich aber maximal auf den Bereich der Bundesrepublik einschlussweise eines verschmitzten Blicks auf die DDR. Damals wurden sogar noch viel kleinere Brötchen gebacken und das Prinzip der Dreigliederung auf die Sozialstruktur einzelner Unternehmen oder Einrichtungen bezogen. Das ist zwar legitim (und war zumindest teilweise auch fruchtbar), denn warum sollte man grundlegende Begriffe und Gesetzmäßigkeiten nicht auch in einem anderen Maßstab anwenden können, wo es tatsächlich Möglichkeiten gab, neue Verhältnisse konkret einzurichten? In Achberg wurde philosophiert, diskutiert, gestritten und agitiert. Es wurden hochintellektuelle Reden gehalten neben simpelsten Einführungen.

Ich war begeistert. Dasjenige, was ich verstanden hatte, sollte für lange Jahre Leitschnur meiner Bestrebungen werden. Mit Freunden las ich Steiners Kernpunkte der sozialen Frage, ein Büchlein, das der Verfasser seinerzeit in aller Eile geschrieben hatte und welches 1918/1919 in einer Auflage von 80.000 Exemplaren gedruckt worden war. Die Eile merkt man der zum Teil unsorgfältigen Wortwahl an und das Werk lässt auch die Sprengkraft etwa des Kommunistischen Manifestes vermissen. Das Wort „Proletarier“, das Steiner häufig verwendet, ordneten wir der Vergangenheit zu und nahmen ansonsten jedes Wort des Autors für bare (und noch gültige) Münze.

Parallel zu meinem Studium in Amsterdam machte ich mich mit Kommilitonen auf die Suche nach Mitstreitern, um Dreigliederung umzusetzen und bekannt zu machen. Es war ja naheliegend, dafür zunächst innerhalb der anthroposophischen Gesellschaft und Bewegung Umschau zu halten. Menschen, die sich erkennbar (etwa durch Veröffentlichungen) mit der Thematik beschäftigten, zählten wir in Holland ganze vier, darunter Fritz Glasl, der sich für den Friedensprozess in Nordirland eingesetzt hatte. In dem von Prof. Lievegoed begründeten NPI, das spätere Institut für Organisationsentwicklung (das den Ruf hatte, sich im Sozialen auszukennen), tauchte ein einziger Mitarbeiter auf, Lex Bos, für den die „soziale Frage“ eine gesellschaftliche Frage war.

Indes hatte das in einer vornehmen, von glänzenden Limousinen umstellten Villa beheimatete Institut keine Skrupel, Kunden wie etwa die niederländische Armee oder „Multinationals“ wie Shell und Unilever zu beraten, zum Beispiel zu der Frage, wie man Untergebene motiviert, mehr Leistung zu erbringen. Das also war das soziale Engagement der Anthroposophen? (Ich sollte erst viel später erkennen, dass zahlreiche Anthroposophen ihre privaten oder geschäftlich-politischen Ansichten in einem nahezu alles umfassenden Spektrum zwischen – je nach Neigung – nationalsozialistisch/reaktionär, gutbürgerlich oder kommunistisch gerne mit Steiner-Zitaten untermauerten und für ihre derart schöngefärbte Denkschablone dann den Begriff „Dreigliederung“ in Anspruch nahmen. Außerdem hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch kein Auge für die Errungenschaften etwa in der anthroposophischen Heilpädagogik und Sozialtherapie, die zwar auch von sozialer Bedeutung waren, sich aber nicht unter dem Begriff „Dreigliederung“ einordnen ließen.)

Unsere Bemühungen, mit einfachen, manchmal provozierenden Mitteln (wie etwa dem Verteilen von Flugblättern) Menschen zu finden, die sich für Dreigliederung erwärmen konnten, hatten insofern Erfolg, als kurze Zeit später die “Arbeitsgemeinschaft für Dreigliederung” als eine Art Dachverband, mit „Hauptgeschäftsstelle“ in Bochum gegründet werden konnte. Sie kam auf etwa 1.000 Mitglieder, 200 davon in Holland, die weitgehend im anthroposophischen Umfeld beheimatet waren. Diese Arbeitsgemeinschaft brauchte ein Informationsorgan, eine Art Mitgliederrundbrief. Diesen gründeten wir in Amsterdam, 1976 erschien die Nullnummer. Sein Name, mehrsprachig verständlich: „info3“.

Gut an der Arbeitsgemeinschaft war der Gedankenaustausch der Mitglieder untereinander; weniger fruchtbar (um nicht zu sagen lähmend) waren endlose Satzungsdebatten. Ob sich überhaupt jemand die Frage gestellt hat, inwiefern die Dreigliederung von 1919 für unsere damalige Zeitsituation eins zu eins übernommen werden konnte, ist mir nicht bekannt. Wohl aber fiel mir auf, dass Steiner in den Kernpunkten, die ich ebenso wie viele Mitstreiter mit Begeisterung studierte, leider nicht explizit zwischen dem methodischen Ansatz und den Lösungsvorschlägen für die soziale Frage seiner Zeit differenzierte. Kein Wunder übrigens wenn man bedenkt, in welche Stromschnellen seine Zeit geraten war. Vielleicht hätten wir das leisten sollen?

Die Arbeitsgemeinschaft für Dreigliederung wurde bereits 1980 mangels Aktivitäten und aus fehlendem gegenseitigen Interesse der Mitglieder aufgelöst, info3 machte selbständig weiter und sollte bald die einflussreichste unabhängige anthroposophische Zeitschrift im deutschsprachigen Raum werden. Zwar haben wir, einer Anregung meines Freundes Emanuel Zeylmans von Emmichoven folgend, das ursprünglich eng gefasste Thema der sozialen Dreigliederung um die praktischen Aktivitäten der gesamten Anthroposophie – immer unter sozialem Gesichtspunkt – erweitert. „Dreigliederung“ führten wir noch lange im Untertitel, thematisiert wurde sie immer weniger. Meine Erfahrung ist: Man kann mit einer Publikation den Zeitgeist unterstützen, ihn bestimmen kann man nicht.

Über den Autor / die Autorin

Ramon Brüll

Ramon Brüll (geb. 1951) gehörte zum Gründerteam der 1976 in Amsterdam ins Leben gerufenen Zeitschrift info3, damals als mehrsprachige Zeitschrift für soziale Dreigliederung. Er studierte Landschaftsgeographie und ist heute Geschäftsführer des Info3 Verlages.