Bewerbung zum Nobelpreis

Kann man sich eigentlich für einen Nobelpreis in Literatur auch selbst bewerben? Unser Autor hat jedenfalls schon einen Bewerbungsbrief aufgesetzt.

Sehr geehrtes, liebes Nobelpreis-Komitee,

mit diesem kleinen Text, den Sie gerade lesen, bewerbe ich mich für den Literatur-Nobelpreis 2020. Hier weitere Gründe, warum ich der Ansicht bin, dass ich ihn verdiene:

Ich bin ein unbescholtener Mann ohne problematische politische Ansichten. (Sollte ich jemals welche gehabt haben, habe ich sie jedenfalls nicht öffentlich geäußert.) In jungen Jahren habe ich den Militärdienst verweigert und gegen Atomkraftwerke demonstriert. Auf der legendären Demo gegen den Abrüstungsdoppelbeschluß in Bonn war ich selbstverständlich dabei und habe ein Kurzgedicht auf die Gehwege gesprayt: „27-facher Overkill/ versaftet im Neutronengrill/ wie die sich Mühe geben/ für jedes Leben.“ Gut, nicht!? Ich war ein engagierter Heilpädagoge und Waldorflehrer. Nie habe ich eine meiner Frauen oder eines meiner Kinder geschlagen. Gerne spiele ich täglich mit meinem Sohn. Ich bin für Gleichberechtigung, auch im  beruflichen Umfeld. Ich bezahle meine Steuern (meist) pünktlich. Neulich war ich auf einer Fridays for future Demonstration. Greta finde ich toll! Ich fliege nicht in den Urlaub, obwohl es direkte Flüge von Kassel-Calden nach Sylt gäbe. Wir haben jetzt eine Grüne Kiste vom regionalen Demeterhof. Auch sonst kaufe ich immer Bio – und Joghurt nur im Pfandglas. Ich überlege ernsthaft, meinen SUV gegen ein Lastenrad umzutauschen. (Bin noch nicht ganz sicher, weil jetzt wieder die kalte Jahreszeit kommt…) Immerhin fahre ich oft und gerne auf meinem Elektroroller. Ich trenne konsequent den Müll und gehe besonders achtsam mit den gelben Säcken um, weil sie sonst reißen. Zum Aggressionsabbau und für die Gesundheit mache ich täglich Sport. Ich lese angesehene Zeitungen, zurzeit die Zeit und die Süddeutsche und Info3 und das Goetheanum und die Motorwelt vom ADAC. Bei Plan International habe ich ein Patenkind. Seit einem Jahr bin ich Mitglied der Grünen und gehe seit dem regelmäßig (!) wählen. Sonntags gehe ich ab und an in die Kirche. Seit neustem nehme ich Klavierunterricht aus Freude an der Musik und wegen des Synapsentrainings. Wir haben ein Theaterabo und von Zeit zu Zeit gehe ich sogar ins Kino. Gerne sitze ich im Kaffee und lese oder schreibe dabei.

Liebes Komitee,

falls Sie diese durchweg tatsächlich zutreffenden Argumente, die für mich als künftigen Träger des Literaturnobelpreises sprechen – und der Text, den Sie gerade lesen – nicht restlos überzeugen sollten, kann ich gerne noch einige Artikel, Glossen, Satiren, Kurzgeschichten und Gedichte aus den vergangenen Jahren nachliefern. Für den Fall, dass Sie schon überzeugt sind – was ich doch sehr hoffe! – finden Sie weiter unten meine Bankverbindung. Das Geld würde mir ermöglichen meinen seit Jahren geplanten Roman, der bereits in Fragmenten in meiner Schublade liegt, endlich zum Abschluss zu bringen. Somit wäre es eine Art bedingungsloser Grundnobelpreis!

Kurz und gut: Mit mir wären Sie 2020 auf der komplett politisch korrekten Seite, was Ihnen nach den Skandalen 2018 und 2019 gut zu Gesicht stünde, nicht wahr!?

Erwartungsvoll verbleibe ich mit freundlichen Grüßen

Ihr Johannes Denger

Über den Autor / die Autorin

Johannes Denger

Johannes Denger ist Heilpädagoge, Waldorflehrer und Info3-Autor.