Bärfuß auf dem Wege

Schriftsteller Lukas Bärfuss / Foto: Wikipedia

Eine Begegnung mit dem frisch gekürten Büchner-Preisträger, der gern über Männer mit Socken schreibt.

„Männer in Socken“, sagt die kulturbeflissene Dame „sie schreiben öfter von Männern ohne Schuhe und in Socken. Was wollen sie damit ausdrücken – und wie ist eigentlich ihr Männerbild?“ Lukas Bärfuß, Schweizer Autor und frisch gekürter Büchner-Literaturpreis-Träger hat eben zwei Geschichten aus seinem neuen Erzählband Malinois gelesen. Im übervollen Foyer der Grimmwelt in Kassel lauschten viele Gäste fasziniert der dichten, originellen, sprachmächtigen Prosa. Jetzt darf man Fragen stellen. Bärfuß faltet die Hände, atmet einmal tief ein und wieder aus und sagt dann „Hm.“ Man ahnt und hofft, dass er nicht vorhat in die Falle zu gehen. Er murmelt wenige Sätze über die Männer in einer sich verändernden Welt, die sich eben auch veränderten und sicher noch viel lernen müssten. Er überlege sich allerdings solche Bilder nicht auf ihre Wirkung hin, sondern sie kämen einfach, tauchten in seiner Vorstellung auf und dann würde er sie verdichten. „Im Übrigen: Ich bin der Vogel, nicht der Ornithologe.“

Als ich eine knappe halbe Stunde vor Beginn die Halle des Grimm-Museums betrat, war da schon eine lange Schlange von Wartenden, die auf nicht abgeholte Karten hofften. Nichts macht so erfolgreich wie Erfolg. Ich bin dann – was ich noch nie getan habe – ohne zu bezahlen einfach zielstrebig zum Büchertisch gegangen, habe mir die Erzählungen gekauft und mir einen Platz gesucht, denn ich wollte ihn unbedingt hören. (Als guter Schweizer bezahlte ich dann natürlich wenigstens hinterher…).

Lukas Bärfuß war der Erfolg nicht in die Wiege gelegt. Nach einer Kindheit in schwierigen Familienverhältnissen wurde er mit 16 Vollwaise und obdachlos und hielt sich mit verschiedenen Hilfsarbeiten über Wasser. In dieser Zeit fing er an, Bibliotheken und Bücherstuben zu besuchen, Orte, wo man sich stundenlang im Warmen aufhalten kann, ohne aufzufallen. Hier fand er zur Literatur, wurde dann Buchhändler und später freier Schriftsteller. Jede Geschichte besteht zusätzlich aus der Geschichte, wie sie entstanden ist, sagte er einmal. Und aus der Geschichte des Autors, möchte man anfügen, die in seinem Fall sehr berührend ist.

Manche der Protagonisten in seinen Geschichten sind an Drogen, Einsamkeit und Verzweiflung gestorben. Ich stelle daher die naheliegende Frage, wie autobiographisch sein Schreiben ist. „Ich denke mir nichts aus. Ich beschreibe Situationen, die ich wahrgenommen habe und entreiße sie so dem Vergessen. Natürlich sind es auch Vorstellungen, weil es aber meine sind, sind sie Teil von mir und also auch biographisch.“ Es sei seine Art mit dem Wahnsinn umzugehen. Verrückt – oder Schriftsteller werden. Es hätte auch anders herauskommen können.

Selten habe ich jemanden erlebt, der so authentisch in seinem Tun und Reden wirkt, wie Lukas Bärfuß an diesem Abend. Ich bin froh, dass ich mich reingemogelt habe! Seine Texte sind in der Verknappung treffend und wesentlich. Satte sinnliche Darstellungen werden mit klarsichtigen Gedankengängen verwoben. Durch die künstlerische Gestaltung schimmern auch übersinnliche Erlebnisse. Alles ist durchzogen von subtilem Humor. Der lang anhaltende, große Applaus zeigt, dass er viele der Zuhörer tief berühren konnte.

Erst im Nachhinein lese ich zuhause über die Vielfalt seines Schaffens nicht nur als Autor von Prosa, Theaterstücken und Essays, sondern auch als Dramaturg an Theatern und mit Lehraufträgen an verschiedenen Hochschulen. Immer wieder beteiligt er sich pointiert an gesellschaftlichen und politischen aktuellen Debatten. Seine Biographie erscheint so als eine Happy-end-Story im besten Sinne. An diesem Abend ist er gut und geschmackvoll gekleidet. Vielleicht ist es aber auch so, dass er eines Tages seine Schuhe wieder ausziehen und in Socken oder barfuß seinen weiteren Weg gehen und verschwinden wird.

Über den Autor / die Autorin

Johannes Denger

Johannes Denger ist Heilpädagoge, Waldorflehrer und Info3-Autor.