Anthroposophische Ärzte: Keine versteckte Impfpflicht für Kinder und Jugendliche

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Ärztevertretungen, Medien und Ethikberater versuchen derzeit massiv eine Corona-Impfpflicht für Kinder und Jugendliche durchzusetzen. Dagegen kritisiert die Gesellschaft anthroposophischer Ärzte in Deutschland die mangelnde medizinische Begründung und die unerforschten Risiken dieser Maßnahme.

Es war ein Signal von hoher Ebene: Anfang Mai beschloss die oberste Vertretung der Ärzteschaft in Deutschland, dass die Corona-Impfung von Kindern und Jugendlichen eine notwendige Sache sei, um das Pandemiegeschehen zu beenden. „Die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe erlangen Familien mit Kindern nur mit geimpften Kindern zurück“, so der Beschluss des Deutschen Ärztetages. Der Pharma-Hersteller Pfizer-Biontech beantragte gleichzeitig bei den Behörden die entsprechende Impfstoffzulassung und Gesundheitsminister Spahn signalisierte die Bereitschaft, notfalls sogar ohne Zustimmung der zuständigen Ständigen Impfkommission (Stiko) an Schulen impfen zu lassen.

Angefangen von den öffentlich-rechtlichen Politsendungen über Spiegel und Taz bis zur Sprecherin des deutschen Ethikrates schien die Zustimmung zu diesem Vorgehen so erstaunlich eindeutig, als wären abweichende Positionen gar nicht denkbar.

Aufkommende Kritik

Inzwischen haben sich jedoch bereits einige regionale Ärzteverbände von dem Votum des Ärztetags distanziert, bei Youtube kritisieren zahlreiche Ärztinnen und Ärzte unter dem Hashtag #nichtmeinaerztetag den Beschluss und eine Online-Petition gegen die Kinderimpfung hat in kurzer Zeit eine halbe Million Unterschriften erreicht. Deutliche Kritik kommt ebenfalls vom Sprecher der Ärzte für individuelle Impfentscheidung: „Finger weg von den Menschenrechten von Kindern und Familien“, mahnt Steffen Rabe auf der Website des Vereins.

Auch die Gesellschaft der anthroposophischen Ärzte in Deutschland (GAÄD) fordert jetzt in einer Stellungnahme: „Keine versteckte Impfpflicht für Kinder und Jugendliche!“ Für die Corona-Impfung von Kindern und Jugendlichen fehle jede wissenschaftliche Basis. „Kinder und Jugendliche müssen im Erkrankungsfall nur sehr selten stationär behandelt werden“, so die GAÄD mit Verweis auf Daten der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie, „ihr Risiko an Covid-19 zu versterben ist extrem gering, bisher gibt es Deutschland keinen kindlichen Sterbefall durch schwere Covid-Folgeerkrankungen wie das bei jüngeren Kindern gefürchtete multiinflammatorische Syndrom PIMS.“ Das mitunter beschworene Risiko von Long-Covid-Beschwerden bei Kindern und Jugendlichen wird von der GAÄD ebenfalls als gering eingeschätzt: „Größere Kohortenstudien relativieren erste Meldungen zur Häufigkeit von Long-Covid bei Kindern“, so die Gesellschaft mit Verweis auf eine britische Studie. „In der Praxis leiden Kinder und Jugendliche infolge der Pandemiemaßnahmen ungleich stärker an einem „Long-Lockdown“-Syndrom mit Müdigkeit, Angststörungen, Depression, Mediensucht und Leistungsabfall“, heißt es weiter.

Besondere Impfrisiken bei Kindern

Ein wichtiger Punkt bei diesem Thema ist die medizinische Nutzen-Risikoabwägung der Corona-Impfung bei Kindern und Jugendlichen. Ergänzend hierzu liegt als eine der ganz wenigen Expertisen eine Studie des Pharmaherstellers Pfizer-Biontech aus den USA vom 9. April 2021 für die Altersgruppe der Zwölf- bis Fünfzehnjährigen vor. Verglichen mit der Placebo-Gruppe der Studie, bei der 35 milde verlaufene Corona-Infektionen auftraten, zeigten von 1097 geimpften Kindern 708 Kopfschmerzen, 455 Schüttelfrost, 355 Muskelschmerzen, 215 Fieber, 173 Gelenkschmerzen und 29 Erbrechen. Mittel- und langfristige Folgen können derzeit naturgemäß nicht erfasst werden. „Mögliche Impfrisiken bis hin zu impfbedingten Todesfällen wiegen in dieser Altersgruppe besonders schwer“, warnt die GAÄD.

Auch medizinethisch betrachtet ist, allen Verlautbarungen ethischer Politikberatung zum Trotz, der Gedanke abwegig, Kindern müsse wegen der möglichen Gefährdung von Älteren eine Impfung zugemutet werden. So hatte beispielsweise Andreas Lob-Hüdepohl vom Deutschen Ethikrat von einer „moralischen Verantwortung auch für Kinder“ gesprochen. Es sei deshalb „ethisch legitim, sie bei den Impfungen in den Blick zu nehmen“, so der katholische Theologe in einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt. Hier liegt jedoch nicht nur ein klarer Eingriff in die Individualrechte von nicht-zustimmungsfähigen Kindern und Jugendlichen vor – allein diese autoritäre Übergriffigkeit sollte alle Alarmglocken schrillen lassen. Darüber hinaus gibt es bereits praktische Beispiele, dass eine Impfung von Kindern für eine Beherrschung der Pandemie gar nicht sein muss. „Wissenschaftliche Berechnungen und Entwicklungen wie in Israel zeigen, dass eine weitgehende Unterbrechung der Covid-19-Infektionsketten ohne die Impfung von Kindern und Jugendlichen möglich ist“, ist die GAÄD überzeugt. Die Aussage des Ärztetags-Beschlusses, wonach zur Erreichung einer Herdenimmunität unbedingt auch die unter 16Jährigen geimpft werden müssten, sei schlicht falsch. Hinzu kommt eine wichtige Überlegung hinsichtlich der künftigen Immunisierung der heutigen Kinder und Jugendlichen: „Langfristig kann eine natürliche Immunisierung im Kindesalter womöglich nachhaltiger zur Immunität der Bevölkerung beitragen als eine Impfimmunität“, heißt es in der Stellungnahme.

Zuletzt schließt sich die GAÄD noch der Forderung der Weltgesundheitsorganisation an, bei der globalen Impfstrategie zunächst an die vielen weltweit noch ungeimpften Menschen aus Risikogruppen zu denken. Zur Wahrung der verfassungsmäßigen Grundrechte sei auf jeden Fall eine freie Impfentscheidung nötig.

Die gesamte Stellungnahme der Gesellschaft anthroposophischer Ärzte in Deutschland mit zahlreichen Quellenverweisen finden Sie hier.

In einem ausführlichen Paper setzen sich auch David Martin und Silke Schwarz von der Uni Witten/Herdecke kritisch mit der Frage Covid-19-Impfung bei Kindern und Jugendlichen auseinander.

Mehr zum Thema Corona und die Kinder auch im aktuellen Themenheft der Zeitschrift info3.

Über den Autor / die Autorin

Jens Heisterkamp

Jens Heisterkamp, geboren 1958 in Duisburg, wuchs im Ruhrgebiet auf. Er studierte an der Ruhruniversität Bochum Geschichte, Literaturwissenschaft und Philosophie und wurde 1988 zum Dr. phil. promoviert. Nach der Begegnung mit der Anthroposophie lernte er während seines Zivildienstes die Heilpädagogik kennen und arbeitete als Dozent in der Erwachsenenbildung, kurzzeitig auch als Waldorflehrer, dann als Herausgeber und Autor. Seit 1995 ist er verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift info3 sowie Verleger und Gesellschafter im Info3 Verlag in Frankfurt am Main. Seine Themen sind Dialoge in Religion, Philosophie und Spiritualität, Offene Gesellschaft, Ethik.